Österreichs neue Regierung Nehammers schwieriger Start
Österreichs Kanzler Nehammer ist mit einer Bürde gestartet: Sein Vorgänger Kurz ist weiter in den Medien, und im neuen Jahr sind zusätzliche Negativ-Schlagzeilen zu erwarten. Was bedeutet das für Nehammer?
Am Ende des Jahres steht Sebastian Kurz noch einmal im Mittelpunkt - in den Jahresrückblicken der österreichischen Medien. Und einen Tag vor Silvester wird auch klar, wo und womit der ehemalige Bundeskanzler demnächst sein Geld verdienen wird. Kurz wird ab dem ersten Quartal 2022 in den USA arbeiten, als "Global Strategist" im Unternehmen des Milliardärs Peter Thiel. Der schwerreiche Investor und Trump-Freund war einer der Gründer des Online-Bezahldienstes PayPal.
Kurz jedenfalls dürfte an seiner neuen Wirkungsstätte deutlich mehr Geld verdienen wie als Bundeskanzler. Für ihn scheint das Kapitel Österreich abgeschlossen. Tränen weint ihm offenbar kaum jemand hinterher. Ein Kommentator schreibt: "Zehn Jahre lang hat Sebastian Kurz sein Bestes für Österreich gegeben. Viel war es nicht."
Neuer Spitzenmann, neuer Stil
Seit dem Rückzug von Kurz hat Karl Nehammer das Sagen in der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), als Parteichef und als Bundeskanzler. Zum Einstand führt der ehemalige Innenminister einen neuen Stil ein. Er gibt sich verbindlich und dialogbereit. Im Kampf gegen die Pandemie bindet er auch die Opposition ein. Es gibt sogar gemeinsame Pressekonferenzen mit Oppositionsparteien.
Gemessen am Stil von Kurz ist das eine Kehrtwende um 180 Grad. Der Neue an der Spitze sucht auch das Gespräch mit Impfgegnern und Corona-Leugnern. Man sei schließlich eine Gesellschaft.
ÖVP verabschiedet sich vom System Kurz
Der Machtwechsel innerhalb der Volkspartei bedeutet auch ein Systemwechsel. Das System Kurz mit seinen Strippenziehern und Organisatoren der "message control", also der genauen Kontrolle der Botschaften an die Öffentlichkeit, hat ausgedient. In den Schaltzentralen Bundeskanzleramt und der ÖVP-Parteizentrale, wurden ein neuer Generalsekretär, ein neuer Kabinettschef und, als politisches Signal an junge Wählerinnen und Wähler, die erst 27 Jahre junge Claudia Plakolm als Staatssekretärin für Jugendthemen installiert.
Deutlich mehr Einfluss zurückbekommen haben die Landeshauptleute, vergleichbar mit den deutschen Ministerpräsidenten. Der neue Innen- und der neue Bildungsminister kamen auch deswegen zu Amt und Würden, weil die Länderfürsten es so wollten.
Beobachter sehen schon eine Rückkehr der alten, schwarzen ÖVP, betonen aber auch, dass die ÖVP nur dann eine Chance habe, wenn sie modern bleibt. Das heißt: Die ÖVP will weiterhin auch die türkis-gefärbte Bewegung "Neue Volkspartei" sein, zu der Kurz die traditionsreiche, aber politisch mäßig erfolgreiche Volkspartei ab 2017 umgebaut hatte.
Neue Enthüllungen und laufende Ermittlungen
Und 2022 dürfte für die ÖVP kein leichtes Jahr werden. Zum einen laufen die Ermittlungen der Korruptionsstaatsanwälte wegen mutmaßlichen Betrug und Missbrauch von Steuergeldern weiter. Am 2. März nimmt außerdem der Untersuchungsausschuss zur Korruption der ÖVP seine Arbeit auf. Es geht um die Frage, ob mit Steuergeldern geschönte Umfragen und wohlmeinende Berichte gekauft wurden, getarnt als Inserate, zumeist an Boulevardmedien.
Es geht um Zahlungsströme zwischen Ministerien und Firmen. Es geht auch um Unternehmensspenden an die ÖVP, wenn Zusammenhänge mit Steuerzahlungen der betreffenden Firmen vermutet werden. Wenige Tage vor Weihnachten platzte eine neue Bombe. Aus Chats, die der Staatsanwaltschaft vorliegen, geht hervor, dass ein Großinvestor dank der Unterstützung eines früheren ÖVP-Finanzministers und eines ÖVP-Spitzenbeamten keine 690.000 Euro Strafzinsen für zu spät gezahlte Steuern bezahlen musste.
Auf die neuen Enthüllungen reagiert die ÖVP-Spitze mit dem Versprechen, die Aufklärung absolut zu unterstützen. Der neue Finanzminister verspricht Transparenz. Der Kanzler nennt die Vorgänge inakzeptabel, sagt aber auch, die ÖVP sei nicht korrupt.
Neuer Kanzler schafft noch keine Trendwende
In den Umfragen sieht es für die ÖVP vorerst nicht gut aus. Die Skandale von Kurz, die laufenden Ermittlungen der Korruptionsstaatsanwälte gegen ehemalige Spitzenpolitiker, aber auch gegen die ÖVP selbst belastet den Neustart der Kanzlerpartei. In Umfragen liegt die ÖVP nur mehr gleichauf oder sogar hinter der SPÖ. Zuletzt lag das Verhältnis bei 24 Prozent ÖVP zu 26 Prozent SPÖ.
Auch der neue Kanzler Nehammer zieht die Partei noch nicht nach oben. Gäbe es eine Direktwahl des Bundeskanzlers, bekäme Nehammer lediglich 19 bis 21 Prozent der Stimmen. Bei einer Umfrage, wie groß das Vertrauen der Österreicherinnen und Österreicher in ihre Politiker ist, verzeichnet der neue Kanzler aber mit einem Plus von 15 Prozent den größten Vertrauenszuwachs überhaupt.
ÖVP muss Neuwahlen fürchten
Sollte es 2022 also zu Neuwahlen kommen, müsste die ÖVP mit schmerzhaften Verlusten rechnen. Ein weiteres Indiz: In Tirol, einem Stammland der Konservativen, käme die ÖVP bei Landtagswahlen derzeit nur mehr auf 32 Prozent. Profitieren könnten dagegen die noch junge Partei der Impfgegner MFG (Menschen - Freiheit - Grundrechte) oder die rechtskonservative FPÖ.
Weil diese Aussichten für den ÖVP-Koalitionspartner die Grünen, aber auch für die SPÖ und die liberal-konservative NEOS wenig verlockend sind, gelten baldige Neuwahlen auf Bundesebene als unwahrscheinlich. Bleibt es also beim turnußgemäßen Wahltermin 2024, würde das für den neuen Kanzler und ÖVP-Chef mehr Zeit bedeuten, um die Wählerinnen und Wähler von seinem neuen Stil zu überzeugen.