Korruptionsermittlungen Worum es in der Kurz-Affäre geht
Von der Durchsuchungswelle zu Kurz' Rücktritt: Die Korruptionsaffäre der ÖVP hat Verwerfungen ausgelöst, die Österreichs Politik und Justiz weiter beschäftigen werden. Ein Überblick.
Was hat die Erschütterungen in Österreich ausgelöst?
Am 6. Oktober durchsuchten Fahnder das österreichische Kanzleramt, das Finanzministerium, die Parteizentrale der ÖVP sowie das Medienhaus "Österreich" und stellten dabei Datenträger sowie Server, Handys und Laptops sicher. Dokumente und Chats, die durch österreichische Nachrichtenmedien teils zuvor an die Öffentlichkeit gedrungen waren, hatten die Razzia ausgelöst: Sie sollen zum einen Kungeleien zwischen Medienvertretern und Kurz' Mitarbeitern belegen. Zum anderen sind sie als Beweismittel für Straftaten relevant, die Kurz und seine Getreuen in diesem Zusammenhang dem Ermittlungsverdacht zufolge begangen haben könnten.
Aus dem Durchsuchungsbefehl der Staatsanwaltschaft geht hervor: Sebastian Kurz und seine engsten Vertrauten stehen im Verdacht, mit Steuergeldern positive Berichterstattung und geschönte Schein-Umfragen für die ÖVP erkauft zu haben - involviert gewesen sei das Finanzministerium.
Alle Beschuldigten weisen die Vorwürfe zurück. Kurz selbst erklärte, die Vorwürfe richteten sich aus seiner Sicht gegen das Finanzministerium - es gebe keine Hinweise darauf, dass er die Angelegenheit gesteuert habe. Die Mediengruppe "Österreich" will rückwirkend mit einer Amtshaftungsklage gegen die Republik gegen die Durchsuchung vorgehen.
Gegen wen wird ermittelt - und weshalb?
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in Wien ermittelt wegen des Verdachts auf Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit gegen Kurz und neun weitere Verdächtige. Für alle Verdächtigten gilt die Unschuldsvermutung. So lauten laut Durchsuchungsanordnung die Verdachtsmomente, derentwegen ermittelt wird:
Sebastian Kurz, ÖVP-Chef und Ex-Kanzler
Kurz ist laut Durchsuchungsanordnung die "zentrale Person" in dem Fall: Alle Tathandlungen seien in seinem Interesse begangen worden - und er habe alle wichtigen Grundsatzentscheidungen getroffen.
Er soll in seiner Zeit als österreichischer Außenminister den damaligen Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, mit der Anbahnung und Vereinbarung der Kooperation mit der Mediengruppe beauftragt haben, über die Schmid ihm regelmäßig berichtet haben soll. Er soll zudem Ex-Familienministerin und Meinungsforscherin Sophie Karmasin überredet haben, sich an der Erstellung geschönter Umfragen zu beteiligen.
Thomas Schmid, EX-ÖBAG-Chef, davor Generalsekretär im Finanzministerium
Verdacht der Untreue nach § 153 StGB als Beteiligter und Verdacht der Bestechlichkeit nach § 304 StGB
Er soll in seiner Zeit im Finanzministerium Vereinbarungen mit der beschuldigten Mediengruppe über gelenkte Berichterstattung gegen Inserate angebahnt und abgeschlossen haben - und damit für Kurz und dessen Vertraute einen Vorteil angenommen und teils auch gefordert haben.
Gerald Fleischmann, Kurz' Medienbeauftragter
Stefan Steiner, Kurz' Berater, davor ÖVP-Generalsekretär
Johannes Frischmann, Kurz' Pressesprecher, davor Sprecher im Finanzministerium
Verdacht der Untreue nach § 153 StGB als Beteiligte und Verdacht der Bestechlichkeit nach § 304 StGB als Beteiligte
Alle drei Vertraute von Kurz sollen gemeinsam die in Auftrag gegebenen Umfragen konzipiert und die Berichterstattung darüber inhaltlich und zeitlich beeinflusst haben.
Sophie Karmasin, Meinungsforscherin, Ex-Familienministerin
Sabine Beinschab, Meinungsforscherin
Verdacht der Untreue nach § 153 StGB als Beteiligte und Verdacht der Bestechung nach § 307 StGB als Beteiligte.
Die beiden Demoskopinnen sollen mit der ÖVP Vereinbarungen zu geschönten Umfragen eingegangen sein, die laut WKStA "ausschließlich parteipolitisch motiviert und für das (partei)politische Fortkommen von Sebastian Kurz und der Gruppe seiner engsten Vertrauten um ihn sowie der ÖVP-Bundespartei" angefertigt worden waren. Anschließend sollen sie dafür Scheinrechnungen ausgestellt haben.
Wolfgang Fellner, Gründer und Herausgeber der Mediengruppe "Österreich"
Helmuth Fellner, kaufmännischer Berater seines Bruders
Verdacht der Untreue nach § 153 StGB als Beteiligte und Verdacht der Bestechung nach § 307 StGB
Sie sollen Kurz und der ÖVP einen Vorteil angeboten und gewährt haben, indem sie im Gegenzug für bezahlte Inserate von ÖVP-Mann Schmid vorgegebene redaktionelle Inhalte veröffentlichten. Sie sollen die Kooperationsvereinbarungen getroffen und sich auf Einflussnahme der ÖVP bei Inhalt und Zeitpunkt der Publikationen eingelassen haben.
Johannes Pasquali, Wiener Bezirkspolitiker, davor Leiter der Kommunikationsabteilung im Finanzministerium
Verdacht der Untreue nach § 153 StGB und Verdacht der Bestechlichkeit nach § 304 StGB
Er soll die Kosten für die beauftragten geschönten Umfragen "aufgrund von Scheinrechnungen" zur Zahlung aus Amtsmitteln des Finanzministeriums angewiesen haben, die dafür zweckwidrig verwendet worden sein sollen. Zudem steht er in Verdacht, die Republik Österreich in einem "300.000 Euro übersteigenden Ausmaß" an Vermögen geschädigt zu haben.
Was droht den Beschuldigten?
Am 12. Oktober berichtete die Zeitung "Standard" über die erste Festnahme in dem Fall: Es handele sich um eine Meinungsforscherin, die nach Angaben aus Regierungskreisen im Verdacht stehe, eine zentrale Rolle bei der Erstellung geschönter Umfragen zugunsten der ÖVP gespielt zu haben. Den Berichten zufolge bestand Verdunkelungsgefahr: Sie soll kurz vor einer Hausdurchsuchung am 6. Oktober die Festplatte ihres Computers gelöscht haben. Die WKSTA kommentierte die Festnahme der Demoskopin nicht.
Weitere Festnahmen sind möglich - je nachdem, welche Verdachtsmomente sich bei der Auswertung der sichergestellten Dokumente erhärten, können auch Anklagen folgen. Die strafrechtliche Aufarbeitung wird allerdings dauern: Die österreichische Nachrichtenagentur APA zitiert Juristen, die davon ausgehen, dass frühestens 2022 über eine Anklage oder Einstellung des Verfahrens entschieden wird.
Einen Antrag zur Beschleunigung des Verfahrens könnte Kurz im Eigeninteresse zwar einbringen, aber frühestens sechs Monate nach Ermittlungsbeginn - wenn die juristischen Voraussetzungen dafür gegeben sind. Denkbar wäre auch, dass er sich als Nationalrats-Abgeordneter auf seine parlamentarische Immunität beruft. Auch dass einige der Beschuldigten als Kronzeugen mit der WKStA kooperieren möchten, um eine Strafmilderung zu erreichen, ist nach der Einschätzung der Juristen nicht ausgeschlossen - doch auch dafür sieht das österreichische Strafrecht Hürden vor.
Und die politischen Folgen - für die ÖVP und Österreich?
Innerhalb der ÖVP ist bislang nicht einmal klar, ob die Korruptionsaffäre dauerhafte personelle Konsequenzen hat: Die Medienbeauftragten Fleischmann und Sprecher Frischmann sind vorerst beurlaubt. Auch Pasquali, der die Öffentlichkeitsarbeit im Finanzministerium leitet, bat um seine Beurlaubung.
Kurz selbst trat nach tagelangem Druck als Bundeskanzler zurück, bleibt aber Parteichef. Die ÖVP bestimmte ihn auch zu ihrem Fraktionschef im Nationalrat - noch bevor er als Abgeordneter vereidigt war. Dass Kurz' politischer Einfluss weiterhin groß ist, zeigt die Zusicherung des neuen Kanzlers Alexander Schallenberg, er werde "selbstverständlich mit ihm sehr eng zusammenarbeiten."
Nicht nur die Opposition, sondern auch politische Beobachter kritisierten: Ein Neuanfang und die gründliche Aufarbeitung einer Staatsaffäre sehen anders aus. Überdies sind vorausgegangene Korruptionsskandale wie die Ibiza-Affäre den Österreichern noch klar in Erinnerung - und ebenfalls nicht vollständig beigelegt.
Die Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ und NEOS kündigten am Mittwoch an, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss anzusetzen, der sich mit sämtlichen Korruptionsvorwürfen von Kurz' Amtsübernahme als Kanzler 2017 bis zu seinem Rücktritt befassen soll.