Flüchtlingslager in Bosnien Abschiebegefängnis vor EU-Außengrenze?
Im bosnischen Flüchtlingslager Lipa entsteht ein Internierungstrakt, beauftragt und finanziert von der Europäischen Union. NGOs befürchten ein Abschiebegefängnis an der EU-Außengrenze.
Der Trakt ist von außen schwer einsehbar. Dass die Container Gitterfenster haben, ist aber zu erkennen - obwohl meterhohe Zäune und ein Sichtschutz nähere Einblicke verhindern sollen. Hier, im Flüchtlingslager Lipa, entsteht ein Internierungstrakt.
Das Lager liegt etwa 25 Kilometer von der nordwest-bosnischen Stadt Bihac entfernt, auf einer windigen Hochebene, umgeben von roten Schildern, die vor Minen aus dem Bosnienkrieg 1992 bis 1995 warnen. Hier landen viele, die beim Versuch gescheitert sind, ins benachbarte Kroatien und damit in die EU zu gelangen.
Journalisten kommen bis auf Weiteres nicht in das Lager. Die österreichische Grünenabgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic hat zwar eine Visite durchgesetzt. Die Zellen des umstrittenen Trakts konnte aber auch sie nicht einsehen.
Der Leiter des Camps habe selbst keinen Schlüssel für den neuen Trakt, sagt Ernst-Dziedzic: "Sie sagen, es ist noch nicht offen. Sie wissen nicht, wer das dann betreiben wird und wann es geöffnet wird. Sie wissen auch nicht, wer dann zuständig ist und was dann passieren soll." Was also soll der Internierungsbau mitten in der bosnischen Einöde?
Unklare Zuständigkeit
Der Internierungstrakt wurde von der EU-Kommission bezahlt. 500.000 Euro hat sie dafür zur Verfügung gestellt. Den Bau umgesetzt hat das International Centre for Migration Policy Development (ICMPD) mit Sitz in Wien. Es ist eine Organisation, die zu migrationsbezogenen Themen forschen und Empfehlungen an ihre Träger abgeben soll.
Geleitet wird das Zentrum von Michael Spindelegger, Österreichs Ex-Vizekanzler und Mitglied der konservativen Österreichischen Volkspartei, die seit Jahren auf Hardliner-Positionen in Flucht- und Migrationsfragen setzt. Das ICMPD dementierte zunächst, am "Bau von Haftzellen oder Ähnlichem" beteiligt zu sein, räumte später aber ein, dass es um einen "Gewahrsamsraum" gehe.
In einer Antwort des ICMPD an die ARD heißt es: "Nachdem die Behörden bestätigt hatten, dass alle erforderlichen Bedingungen erfüllt waren, begann ICMPD mit der Errichtung des Erweiterungsbaus."
Abgestimmt habe man sich mit dem bosnischen Sicherheitsministerium. Das ist aber gar nicht zuständig für die Baugenehmigung. Im Kanton Una Sana, wo Lipa liegt, will auch niemand den Internierungstrakt genehmigt haben.
Unklarer Zweck
Auch welchem Zweck er dient, ist unklar. Der EU-Botschafter für Bosnien und Herzegowina, Johann Sattler, sagte bei einem eilig organisierten Besuch vor Ort: Der Trakt diene dem Schutz der Menschen in Lipa vor "Unruhestiftern". Allerdings berichten die Campleitung und die Internationale Organisation für Migration, dass es in Lipa so gut wie nie zu Konflikten oder Gewalt komme.
Nichtregierungsorganisationen argwöhnen seit Langem, dass außerhalb der EU Abschiebegefängnisse entstehen könnten, damit Flüchtende und Migranten abgeschoben werden, bevor sie in der EU mögliche Asyl- oder andere Schutzansprüche geltend machen können.
Darauf deutet auch der Besuch des ungarischen EU-Erweiterungskommissars Olivér Várhelyi in Bosnien und Herzegowina im vergangenen November hin. Várhelyi kündigte ein EU-Pilotprojekt in Lipa an und sprach davon, dass "die falschen Asylbewerber so lange festgehalten werden müssen, bis sie in ihre Herkunftsländer zurückkehren".
Abschiebungen gegen Beitrittsverhandlungen?
Petar Rosandic von der Wiener Hilfsorganisation "SOS Balkanroute" verfolgt die Debatte rund um das Camp Lipa seit dessen Gründung. Er glaubt mit Blick auf den EU-Kandidatenstatus von Bosnien und Herzegowina an einen Deal: Das Land solle zu einer Abschiebezone für die EU werden. Zum Dank könnten Beitrittshilfen winken und die Perspektive auf schnelle Beitrittsverhandlungen.
Die EU-Delegation in Bosnien und das Büro von Várhelyi schreiben der ARD: "Eine wirksame und humane Rückführungspolitik für Personen, die keinen Anspruch auf internationalen Schutz haben, ist von wesentlicher Bedeutung, um zu gewährleisten, dass diejenigen, die Anspruch haben, ihre Anträge rechtzeitig prüfen lassen können." Anspruch auf die individuelle Prüfung eines Asylantrags hat laut internationalem Recht allerdings jeder Mensch.
Die Rechtsgrundlage ist nicht geklärt
In der Region rund um Lipa ist das aber nicht selbstverständlich: Dass das Nachbarland Kroatien Asylsuchende ohne Einzelfallprüfung und oft unter Anwendung von Gewalt nach Bosnien und Herzegowina zurückdrängt, ist seit Langem dokumentiert.
Und die abschließende Prüfung eines Asylantrags kann kaum in 72 Stunden erfolgen. So lange sollen Geflüchtete und Migranten nach Angaben der EU-Kommission maximal im neuen Internierungstrakt in Lipa bleiben dürfen. Die Rechtsgrundlage für diese Zeitspanne ist unklar - genauso wie die Rechtsgrundlage für den Internierungstrakt an sich.
Nach Angaben der EU-Kommission soll die Ausländerbehörde in Sarajevo die Verantwortung für den Bau übernehmen. Der stellvertretende Behördenleiter Mirsad Buzar sagt im ARD-Interview, dass für den Betrieb noch eine Rechtsgrundlage fehle.
Die EU baut also mithilfe eines Kooperationspartners aus Österreich ohne geklärte Rechtsgrundlage einen Internierungstrakt im Camp Lipa, in dem Flüchtende und Migranten leben - mit Geldern, die Bosnien und Herzegowina eigentlich für die EU fit machen sollen.