Vorwürfe von NGO Schiebt Kroatien illegal aus der EU ab?
Schiebt das EU-Land Kroatien illegal Menschen nach Bosnien ab? Darauf weisen versteckt gefilmte Videos von der grünen EU-Außengrenze hin, die der ARD vorliegen. Der Beleg für einen alten Vorwurf?
Ein abgelegener Waldweg unmittelbar an der bosnisch-kroatischen Grenze. Ein kroatischer Polizist weist eine 14-köpfige Gruppe von Menschen lautstark zurecht, sie sollen sich in einer Reihe aufstellen. Der Polizist hat eine Pistole in der Hand. Ein weiterer Polizist ist zu sehen, wie er einen der Menschen mit einem Tritt zurück ins Glied schubst. Die Menschen laufen in Reih und Glied, die Hand auf der Schulter des Vordermanns und werden weitergeführt.
Die Szene hat eine versteckte Kamera aufgenommen und ist Teil eines Videopakets, das die Nichtregierungsorganisation "Border Violence Monitoring" dem ARD-Studio Südosteuropa zugespielt hat. Die insgesamt 132 Videos zeigen jeweils kleinere Gruppen von Menschen, die von kroatischen Polizisten über einen Waldweg Richtung Bosnien geführt werden.
Verdeckt gefilmte Videos
Sind das illegale Abschiebungen, wie sie der kroatischen Polizei seit langem vorgeworfen werden? Zu sehen sind im Zeitraum von zwölf Tagen im September und Oktober mindestens 368 Menschen, darunter auch Frauen und Kinder. Sie werden auf diesen Aufnahmen begleitet von verschiedenen bewaffneten Einheiten der kroatischen Polizei, darunter die Grenzpolizei aber auch Polizisten, die Uniformen von Spezial- und Interventionseinheiten und Sturmgewehre tragen.
Immer wieder ist zu sehen, wie Polizisten Menschen wegführen und wenige Minuten später alleine zurückkehren. Wohin genau die Menschen geführt werden, sieht man auf den Videos nicht - die Vermutung liegt aber nahe, dass sie nach Bosnien gehen müssen.
Auf bosnischer Seite beginnt ein ARD-Team seine Suche und findet anhand angegebener GPS-Daten den abgelegenen Waldweg und kurz darauf auch den Ort, an dem die Aufnahmen entstanden sind. Der Weg führt etwa einen Kilometer bergauf und weist viele Fußspuren auf. Er ist gesäumt von Müll, der auf Migranten und Flüchtlinge hinweist: Weggeworfene Teile von Mobiltelefonen, Sim-Karten aus Kroatien, Kleidung, Schuhe, ein Familienzelt des UNHCR und Wärmedecken. Der nächstgelegene reguläre Grenzübergang ist fünf Kilometer entfernt.
Es gibt nur ein plausibles Ziel: Bosnien
Die ARD hat mit den Aktivisten gesprochen, die die versteckten Aufnahmen gemacht haben. Sie möchten anonym bleiben. Es sei ihnen darum gegangen, illegale Abschiebungen zu dokumentieren, von denen Migranten, Flüchtlinge und NGOs berichtet haben. Einer der Aktivisten beschreibt seine Motivation so:
Ich glaube, um das Innenministerium und andere Stellen, zum Beispiel auf europäischer Ebene dazu zu bringen, offizielle Untersuchungen einzuleiten, braucht es zwei Dinge: Das eine ist, die Systematik aufzuzeigen, das zweite ist, zu beweisen, dass es tatsächlich stattfindet.
Belegen diese Videos illegale Abschiebungen nach Bosnien? Sicher ist, dass über den abgelegenen Waldweg, den die Kamera gefilmt hat, das bosnische Staatsgebiet in wenigen hundert Metern zu erreichen ist. Mitten in Wald, fernab von regulären Grenzübergängen oder sonstigen plausiblen Zielen auf kroatischem Staatsgebiet.
Der nächstgelegene Ort auf bosnischer Seite ist das Dorf Lohovo, etwa einen Kilometer vom Aufnahmeort entfernt. Dass immer wieder Menschen aus dem Wald kommen, und zwar nur in eine Richtung, weiß hier jeder. Der 89-jährige Rentner Gojko Stipić wohnt direkt am Wald: "Jeden Tag gehen hier 50 Menschen vorbei. Von oben kommen sie und gehen Richtung Bihac. In die andere Richtung gehen sie nicht."
Push-Back-Aktionen?
Zusammen mit den Videos ergeben die Recherchen vor Ort ein starkes Indiz dafür, dass Kroatien Migranten nach Bosnien zurückschickt und zwar über die so genannte grüne Grenze. Bestehende Rückführungsabkommen mit Bosnien und Herzegowina scheinen als Erklärung nicht in zu Frage kommen, denn diese offiziellen Abschiebungen finden an regulären Grenzübergängen statt.
Handelt es sich hier um so genannte Push-Backs? Wenn ja, wäre das illegal, sagt Neven Crvenkovic, Sprecher des Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Sarajevo: "So genannte Push-Back-Aktionen werden als illegal bewertet, weil sie im direkten Widerspruch stehen zu nationalen Rechtsnormen. Diese ergeben sich aus der UN-Flüchtlingskonvention aus dem Jahr 1951 aber auch aus der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte."
Flüchtlinge und Migranten berichten seit Monaten von solchen Aktionen. Auch dieser junge Mann aus Pakistan: "Sie hören uns nie zu. Sie fangen und schieben uns ab. Und sagen, das sei deutsches Recht, EU-Recht. Die sagen uns - hier kann niemand bleiben. Wenn sie uns erwischen, müssten sie uns nach Bosnien zurückschicken."
Keine Antwort aus Kroatien
Das kroatische Innenministerium ließ eine ARD-Anfrage unbeantwortet. Seit Monaten aber bestehen die kroatischen Behörden darauf, dass die kroatische Polizei streng nach Recht und Gesetz handle. So auch der kroatische Innenminister Davor Božinović in einem Radiointerview vom Samstag: "Wir sind die EU-Außengrenze. Und natürlich wenden wir dort sowohl nationales als auch europäisches Recht an."