Sitzung des NATO-Ukraine-Rats Was tun für die ukrainische Flugabwehr?
Beim heutigen Treffen des NATO-Ukraine-Rats steht vor allem die Luftverteidigung auf der Agenda. Denn die Ukraine kann den ständigen russischen Angriffen mit Raketen und Drohnen immer weniger entgegensetzen.
Die Zahl ist beeindruckend: 99 Prozent der iranischen Drohnen, Marschflugkörper und Raketen konnte Israel bei dem Angriff am vergangenen Wochenende abfangen - dank einer breit gestaffelten Luftverteidigung und internationaler Unterstützung.
Dagegen hatte die Ukraine nach einer Studie der US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) bei den jüngsten russischen Großangriffen lediglich eine durchschnittliche Abfangrate von etwa 16 Prozent bei ballistischen Raketen und rund 75 Prozent bei Marschflugkörpern und Drohnen.
Selenskyj verweist auf Israel-Hilfe
Kein Wunder, dass sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zuletzt frustriert äußerte: "Die ganze Welt hat an den Aktionen unserer Verbündeten am Himmel Israels und der Nachbarländer gesehen, wie wirksam Einigkeit bei der Verteidigung gegen den Terror sein kann, wenn die Grundlage der Einigkeit ein ausreichender politischer Wille ist."
Er verweist darauf, dass auch Israel - wie die Ukraine - kein NATO-Mitglied ist. Demnach habe es keine Notwendigkeit des gegenseitigen Beistands gegeben: "Es wurde auch niemand in den Krieg hineingezogen, sie haben lediglich geholfen, Leben zu schützen", so Selenskyj.
"Kostspieliger Fehler"
"Die Verteidigung Israels zeigt: Wenn die westlichen Partner wollen, können sie viel mehr tun, um die Menschen in der Ukraine vor russischen Raketen- und Drohnenangriffe zu schützen", sagt der Militärexperte Nico Lange. Er war bis 2022 im Leitungsstab des Bundesverteidigungsministeriums und ist Senior Fellow der Münchner Sicherheitskonferenz.
"Es ist ein kostspieliger Fehler, der auch unsere Sicherheit verschlechtert, dass die westlichen Partner das für die Ukraine bisher nicht tun", so Lange gegenüber tagesschau.de. "Unsere Unterstützung für die Ukraine braucht einen Strategiewechsel."
Zu spät für die erwartete russische Großoffensive
Einen ersten Schritt hat die Bundesregierung nach der iranischen Attacke auf Israel getan: Kurzfristig wird ein weiteres "Patriot"-Abwehrsystem aus Bundeswehr-Beständen an die Ukraine geliefert. Von Mitte Mai an sollen ukrainische Soldaten daran ausgebildet werden.
Einsatzbereit in der Ukraine ist das System dann Ende Juni - zu spät für die erwartete russische Großoffensive. Die Ukraine geht davon aus, dass die Führung in Moskau das Ziel hat, der Bevölkerung einen militärischen Triumph zum Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs am 9. Mai zu liefern.
Nach Schätzungen des ukrainischen Verteidigungsministeriums und des Nationalen Sicherheitsrats braucht das Land mindestens zehn "Patriot"-Systeme für einen halbwegs flächendeckenden Schutz. Für einen umfassenden Schutz seien 26 Systeme nötig, heißt es.
Wie viele "Patriot"-Abwehrsysteme in der Ukraine im Einsatz sind, ist unklar. Experten gehen davon aus, dass es derzeit drei Systeme sind. Das von der Bundesregierung jetzt zugesagte, wäre damit das vierte.
"Partner sollten alle russischen Raketen abschießen"
Deshalb fordert Lange kurzfristig unkonventionelle Lösungen: "Die Partner sollten mit den zahlreichen 'Patriot'-Systemen an unseren Ostgrenzen ab jetzt alle russischen Raketen und Drohnen über der Ukraine abschießen, die sie in Reichweite haben."
Er denkt dabei vor allem an NATO-Flugabwehrsysteme im Osten Polens, mit denen russische Raketen von dort aus über der Westukraine abgeschossen werden könnten. "Völkerrechtlich wäre das voll gedeckt", so Lange gegenüber tagesschau.de. Nichts anderes sei beim Abfangen iranischer Raketen und Drohnen passiert.
"Müssen Produktion massiv hochfahren"
Langfristig müsse jedoch die Produktion massiv hochgefahren werden. "Es war ein strategischer Fehler, nicht schon im Jahr 2022 systematisch die Produktion anzukurbeln", sagt Lange. Es gebe aber noch Potenzial, alte Systeme wie "Hawk" und Munition dafür bei ehemaligen Nutzerstaaten zu kaufen und sie in die Ukraine zu bringen. "Es muss sich allerdings jemand konkret darum kümmern, statt immer nur mit dem Finger auf andere zu zeigen", so Lange.
Künftig sollen "Patriot"-Abwehrsysteme auch in Deutschland produziert werden - im Rahmen eines Joint-Ventures des US-Konzerns Raytheon mit dem deutschen Rüstungsunternehmen MBDA, dem Hersteller der "Taurus"-Marschflugkörper.
Die Fertigung im bayerischen Schrobenhausen ist die erste außerhalb der USA. Im Rahmen der European Sky Shield Initiative sollen dort "Patriot"-Systeme im Wert von 5,1 Milliarden Euro produziert werden, unter anderem für Deutschland, die Niederlande, Rumänien und Spanien. Deutschland rechnet mit ersten Lieferungen allerdings erst 2027.
In einer früheren Fassung war von zwei "Patriot"-Systemen die Rede, die von der Ukraine aus betrieben werden. Die genaue Anzahl ist jedoch unbekannt. Experten gehen von drei aus.
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