Druck auf Israels Premier Netanyahu zwischen den Fronten
Auf der einen Seite Forderungen nach einem Plan für eine Nachkriegsordnung, auf der anderen Seite unnachgiebige rechte Minister, die von Diplomatie nichts halten: In Israel wächst der Druck auf Premier Netanyahu - nicht nur auf der Straße.
In Tel Aviv gingen an diesem Wochenende wieder zehntausende Menschen auf die Straße - für die Freilassung der Geiseln. Sängerin Eden Golan, die für Israel am Eurovision Song Contest teilgenommen hatte, sang in Tel Aviv das Lied "Oktober-Regen" mit dem Originaltext, der aus politischen Gründen geändert worden war.
Geiseln geborgen
Gerade erst barg die israelische Armee vier weitere tote Geiseln, darunter die Deutsch-Israelin Shani Louk, die am Abend begraben wurde. Wut und Trauer münden immer wieder in Protesten gegen Israels Premier Benjamin Netanyahu, auf den der Druck stetig wächst.
Gantz stellt Netanyahu ein Ultimatum
Nach Verteidigungsminister Yoav Gallant warf nun auch Kriegskabinettsminister Benny Gantz Netanyahu Strategielosigkeit im Krieg vor. Und er stellte ein Ultimatum: Das Kriegskabinett müsse bis zum 8. Juni einen Plan für die Nachkriegsordnung im Gazastreifen vorlegen. Der Moment der Wahrheit sei gekommen, der Moment der Entscheidung. Netanyahu müsse zwischen Zionismus und Zynismus, zwischen Einheit und Spaltung, zwischen Verantwortung und Gesetzlosigkeit, zwischen Krieg und Katastrophe entscheiden.
Sechspunkteplan für Nachkriegsordnung gefordert
Andernfalls droht Gantz damit, das Kriegskabinett zu verlassen. Der Oppositionspolitiker fordert in einem Sechspunkteplan unter anderem eine befristete Verwaltung des Gazastreifens durch die USA, Europa, arabische Staaten und Palästinenser. Auch die Wehrpflicht solle auf alle Bürger, auch auf die ultraorthodoxen Juden im Land, ausgeweitet werden, so Gantz.
Diese Forderung hat zuvor bereits Streit in der rechtsgerichteten Regierung ausgelöst. Dass Gantz nun wieder Öl ins Feuer goss, löste im rechten Regierungsspektrum Entrüstung aus. Vor allem beim rechtsextremen Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir. "Netanyahu sollte Gallant, Eizenkot und Gantz entlassen. Sie passen nicht in die Regierung", so Ben Gvir.
Rechte Minister gegen Diplomatie
Die Rechten in der Regierung halten nichts von Demokratie. Auch eine Auflösung des Kriegskabinetts scheuen sie nicht. Israels Finanzminister Bezalel Smotrich schlug gar vor, die israelische Armee solle mit Bodentruppen in den Libanon einmarschieren und den Gazastreifen dauerhaft militärisch besetzen.
Gegen solche Vorschläge geht auch immer Israels Oppositionsführer Yair Lapid, der eine Beteiligung am Kriegskabinett ablehnte, auf die Straße. Bei einer Protestkundgebung in Tel Aviv forderte er Gantz und Eizenkot zum Austritt aus dem Kriegskabinett auf - dann wäre die Ära Netanyahu schon lange Geschichte.
Ruf nach Neuwahlen
So ein Austritt und eine mögliche Auflösung des Kriegskabinetts, dem neben Netanyahu, Gallant und Gantz auch der pensionierte Armeegeneral Gadi Eizenkot angehören, würde zwar nicht automatisch zu Neuwahlen führen, aber den Ruf danach in Gesellschaft und Politik deutlich verstärken.