Demonstration in Jerusalem Zehntausende erinnern an Schicksal der Geiseln
Sechs Monate nach dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel sind in Jerusalem erneut Zehntausende Menschen auf die Straße gegangen. Sie forderten einen erneuten Deal zur Freilassung der noch über 100 Geiseln im Gazastreifen.
Angehörige der noch verbliebenen Verschleppten im Gazastreifen sowie bereits freigelassene Geiseln haben auch am Wochenende an das Schicksal der Menschen in der Gewalt der Hamas erinnert. Die Organisation der Familienangehörigen hatte für Sonntagabend zu einer Kundgebung vor dem israelischen Parlamentsgebäude in Jerusalem aufgerufen - auf den Tag genau sechs Monate nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober.
Kritik an Netanyahu und Sicherheitskabinett
Nach Angaben der Veranstalter kamen rund 50.000 Menschen, die in Sprechchören forderten, die Geiseln nach Hause zu bringen. Schwestern der noch immer verschleppten Frauen standen zu Beginn der Veranstaltung auf der Bühne in Kleidung wie jener, die die Frauen am Tag ihrer Entführung getragen hatten. Mehrere hatten sich die Münder als Symbol der Sprachlosigkeit der Geiseln verklebt und rote Farbe als Zeichen von Blut auf Kleidung oder Arme gemalt.
"Ich wende mich von hier an den Regierungschef und das Sicherheitskabinett: Füße scharren und Unentschlossenheit bedeuten, dass mehr Geiseln in Särgen zu uns zurückkehren", rief Lischai Lavi Miran, die Ehefrau des verschleppten Omri Miran. "Ich flehe Sie an: Kehren Sie nicht von den Verhandlungen zurück ohne ein Abkommen, das meinen Omri und die anderen Männer einschließt."
"Wir sind hier und zählen die Tage"
Unter den Rednern bei der Demonstration war auch Ofri Bibas, deren einjähriger Neffe Kfir die jüngste noch in der Gewalt der Islamisten befindliche Geisel ist. Sie forderte, das Schicksal der Geiseln "nicht zu vergessen." "Wir sind hier und zählen die Tage", sagte Agam Goldstein, die zusammen mit ihrer Mutter und ihren beiden jüngeren Brüdern aus ihrem Zuhause in Kfar Aza in den Gazastreifen verschleppt und nach 51 Tagen freigelassen worden war.
Sie frage sich, in welchem Zustand die Geiseln zurückkehren würden, sagte Goldstein angesichts der auf eine Großleinwand projizierten Porträtbilder der Geiseln. "Die Fotos überall im Land und auf der ganzen Welt zeigen eine andere Person. Sie sehen nicht mehr so aus, lächeln nicht mehr so." Der 19 Jahre alte Itay Regev, der zusammen mit seiner Schwester Maya am 7. Oktober auf dem Nova-Musikfestival verschleppt worden war, beschrieb ein Leben voller Angst in der Geiselhaft. "Wir sind lebendig, aber nicht heil zurückgekommen." Jeder Morgen sei ein anderer Tag in der Hölle gewesen.
Angehörige erinnerten an die Feste der vergangenen sechs Monate, die ohne ihre Liebsten gefeiert werden mussten. Nun hofften sie auf eine Rückkehr zum Sedermahl des bevorstehenden Pessach-Festes, einem der höchsten Feiertage im Judentum. Es wird in diesem Jahr vom 22. bis 30. April begangen.
Proteste auch am Samstag
Auch am Samstag hatten Zehntausende Menschen in Tel Aviv und anderen israelischen Städten gegen Netanyahus Regierung demonstriert. Kritiker werfen ihm vor, den Schutz der Gaza-Grenze vernachlässigt zu haben und die Interessen des Landes seinem politischen Überleben unterzuordnen. Die Demonstrierenden forderten wiederholt seinen Rücktritt.
Bei dem Massaker der Hamas und anderer islamistischer Organisationen am 7. Oktober 2023 waren israelischen Angaben zufolge mehr als 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 Menschen in den Gazastreifen verschleppt worden.
Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive. Dabei sind bisher nach Angaben der von der Hamas kontrollierten palästinensischen Gesundheitsbehörde mehr als 33.000 Palästinenser getötet worden. Im Laufe einer einwöchigen Feuerpause Ende November hatte die Hamas 105 Geiseln freigelassen. Im Gegenzug entließ Israel 240 palästinensische Häftlinge aus Gefängnissen. Noch immer befinden sich mehr als 100 Geiseln in der Gewalt der Hamas, Dutzende von ihnen sind mutmaßlich bereits tot.