Jewgeni Prigoschin
Porträt

Chef der Wagner-Söldner Vom Freund zum Staatsfeind

Stand: 24.06.2023 20:10 Uhr

Er war erst offener Kritiker der russischen Militärführung, jetzt ist er ihr Feind: Söldnerführer Prigoschin hat Russlands Präsidenten Putin herausgefordert. Wer ist der Mann?

Jewgeni Prigoschin ist eines der prominentesten Gesichter der russischen Invasion in der Ukraine. Als Chef der Söldnergruppe Wagner war er maßgeblich am Frontgeschehen beteiligt - seine Männer kämpften bei der schweren Belagerung der Stadt Bachmut und eroberten die Salzstadt Soledar. Mutmaßlich waren sie auch am Massaker von Butscha beteiligt.

Noch zu Sowjetzeiten verbrachte Prigoschin wegen Raubes, Betrugs und weiterer Delikte neun Jahre im Gefängnis. Heute ist er ein reicher russischer Geschäftsmann, dem seit den 1990er-Jahren Nähe zu Präsident Wladimir Putin nachgesagt wird. "Putins Koch" wird er oft genannt, weil er einst ein Restaurant in St. Petersburg betrieb, in dem Putin zu speisen pflegte. Ihn darauf zu reduzieren hieße aber, ihn zu unterschätzen.

Prigoschin besitzt ein riesiges Catering-Unternehmen, das staatliche Einrichtungen versorgt - außerdem Medienunternehmen und sogenannte "Trollfabriken" zur Beeinflussung sozialer Medien. "Im Wesentlichen ist er ein privater Geschäftsmann, der stark davon abhängig ist, wie seine Beziehungen zu den Behörden strukturiert sind", erklärte Tatjana Stanowaja, Gründerin des Analyseunternehmens R.Politik. Mit seinen Wagner-Söldnern ist er aber auch weltpolitischer Akteur.

Ein Bekenntnis zu Wagner

Die russische Regierung, die lange öffentlich Distanz zur Wagner-Truppe wahrte, hatte nach dem Scheitern ihrer Offensive auf Kiew Bedarf an zusätzlichen Männern. Prigoschin setzte Medienberichten zufolge durch, dass Wagner die Lücken füllen durfte. Er selbst räumte erst im September 2022 erstmals öffentlich ein, mit der Wagner-Gruppe überhaupt etwas zu tun zu haben. Nach seinen Angaben gründete er sie 2014. Sie sei weit mehr als eine Söldnertruppe, hatte er erklärt. Schon vor der jüngsten Entwicklung mehrten sich Anzeichen, dass die Regierung ihren Einfluss eindämmen wollte.

Unterschiedliche Stimmen hielten Prigoschin im Laufe des Krieges in der Ukraine gar für den künftigen Verteidigungsminister. Dabei war immer fraglich, on Putin wirklich seinen langjährigen Minister Sergej Schoigu verstoßen hätte - zumal erst Mitte Januar mit Generalstabschef Waleri Gerassimow ein enger Schoigu-Vertrauter Oberbefehlshaber des Ukraine-Einsatzes wurde.

Es blieb immer unklar, wie viel Einfluss Prigoschin tatsächlich in Putins Entourage hatte. Aber er scheute in der Vergangenheit nicht davor zurück, sich mit dem Militär und dem Verteidigungsministerium anzulegen. Immer wieder kam es während des Krieges zu Zerwürfnissen, weil die russische Armee die Wagner-Söldner nach Prigoschins Angaben nicht ausreichend unterstütze. Seither äußerte sich der Wagner-Chef immer offener und kritischer über die Militärführung um Schoigu und Gerassimow.

Schwerverbrecher als Kanonenfutter

Putin hatte wiederholt erklärt, die Wagner-Gruppe vertrete nicht den Staat. Sie verstoße aber nicht gegen russische Gesetze und habe das Recht, überall auf der Welt zu arbeiten und ihre Geschäftsinteressen zu fördern. Das tat die Wagner-Gruppe bereits in Syrien, Mali, Libyen und der Zentralafrikanischen Republik, wo die Söldner bei der Niederschlagung von Aufständen eingesetzt werden.

Ursprünglich bestand die Wagner-Truppe aus Veteranen der russischen Streitkräfte. Die Regierung hatte Prigoschin erlaubt, Strafgefangene zu rekrutieren und sie in Panzern, Flugzeugen und Raketenabwehrsystemen einzusetzen - versprochen wurde ihnen Straffreiheit gegen Kriegsdienst.

Später nahm das Verteidigungsministerium einer Gefangenenrechtsorganisation zufolge die Rekrutierung aber selbst vor. Nach US-Schätzungen folgten der Werbung rund 40.000 Männer, die teils wegen schwerer Verbrechen verurteilt waren. Anfang Januar wurden die ersten nach ihrem sechsmonatigen Einsatz auf freien Fuß gesetzt. "Trinkt nicht zu viel, nehmt keine Drogen und vergewaltigt keine Frauen", gab Prigoschin ihnen mit auf den Weg.

Gegen die eigene Seite

Trotz anhaltender Anschuldigungen und Unfähigkeitszuweisungen seitens Prigoschin ließ das russische Verteidigungsministerium die Wagner-Gruppe weitgehend gewähren. Nach Einschätzungen der US-Regierung zeichnete sich bereits Anfang des Jahres ab, dass Wagner zu einem mit dem regulären Militär rivalisierendem Machtzentrum heranwachsen könnte.

Am 10. Juni ordnete Verteidigungsminister Schoigu die Unterzeichnung von Militärverträgen durch alle "Freiwilligeneinheiten" an, die in der Ukraine kämpfen. Er begründete, das sei nötig, um soziale Garantien zu ermöglichen. Der Schritt erweckte aber den Anschein, der Wagner-Gruppe gezielt Teile ihres Einflusses streitig zu machen zu wollen.

Ohne Unterzeichnung sei zudem eine weitere Teilnahme an den Kampfhandlungen in der Ukraine nicht mehr möglich, argumentierte das Verteidigungsministerium. Dieser Aufforderung folgte die Wagner-Gruppe zunächst nicht, da Schoigu laut Prigoschin außer Stande sei, eine effiziente Militärstruktur zu organisieren und man sich ihm daher nicht unterstellen wolle.

Hintergründe des Machtkampfs zwischen Söldner-Chef Prigoschin und russischer Militärführung

Birgit Virnich, WDR, tagesthemen, 24.06.2023 22:00 Uhr

Mit dem Vorwurf Prigoschins, die russische Militärführung habe seine Truppen bombardiert, eskalierten die Spannungen zwischen den bewaffneten Parteien. Wagner-Söldner besetzten wichtige militärische Objekte in der russischen Stadt Rostow am Don. Die Regierung versetzte das FSB in Bereitschaft, und Ermittlungen von der russischen Generalstaatsanwaltschaft gegen Prigoschin wegen Aufruhr und bewaffneten Aufstandes wurden eingeleitet. Prigoschins Kämpfer näherten sich Moskau am Samstag gefährlich nahe.

Am Abend dann die überraschende Wende: Prigoschin forderte seine Soldaten auf, den Vormarsch zu stoppen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 24. Juni 2023 um 15:00 Uhr.