Wagner-Chef Prigoschin ruft zum Kampf gegen Russlands Militärführung
Wagner-Chef Prigoschin hat dem russischen Militär vorgeworfen, seine Söldnertruppe bombardiert zu haben. Er rief zum "Marsch für die Gerechtigkeit" auf. Moskau dementierte, der Geheimdienst eröffnete offenbar ein Strafverfahren wegen bewaffneter Meuterei.
Der Chef der russischen Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, hat der russischen Militärführung vorgeworfen, seine Truppen bombardiert zu haben. Durch die Angriffe sei eine "sehr große" Zahl an Wagner-Söldnern getötet worden, sagte er in einer am Abend von seinem Pressedienst veröffentlichten Sprachbotschaft.
Der Söldner-Chef warf dem russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu vor, er habe die Angriffe auf Lager der Wagner-Truppen angeordnet. "Wir waren bereit, Zugeständnisse an das Verteidigungsministerium zu machen, unsere Waffen abzugeben", sagte Prigoschin. Dennoch hätten "sie Raketenangriffe auf unsere hinteren Feldlager ausgeführt".
Der Wagner-Chef sagte, das "Böse" der Militärführung müsse gestoppt werden und gelobte, auf die Angriffe zu antworten. "Wir sind 25.000", sagte er über die Kampfstärke seiner Truppe und rief "alle, die sich uns anschließen wollen", dazu auf, "dem Chaos ein Ende zu bereiten". Es handele sich nicht um einen Putsch, sondern um einen "Marsch für die Gerechtigkeit".
Russischer Geheimdienst eröffnet Strafverfahren
Das Dementi aus Moskau kam umgehend. Prigoschins Anschuldigungen hätten keinen Bezug zur Realität und seien eine Provokation, erklärte das Verteidigungsministerium in einer Mitteilung.
Der russische Geheimdienst FSB eröffnete offenbar ein Strafverfahren gegen Prigoschin wegen des Aufrufs zu einer "bewaffneten Meuterei". "Im Zusammenhang mit diesen Äußerungen hat Russlands FSB ein Strafverfahren eingeleitet", erklärte das Nationale Komitee zur Bekämpfung des Terrorismus laut russischen Nachrichtenagenturen. "Wir fordern, dass illegale Handlungen sofort eingestellt werden", hieß es weiter. Der Agentur Interfax zufolge ist Präsident Wladimir Putin über alle Prigoschin betreffenden Vorgänge unterrichtet. Dem Kreml zufolge würden notwendige Maßnahmen ergriffen, meldet Interfax.
Mit den Äußerungen habe Prigoschin möglicherweise den Bogen überspannt, sagte ARD-Korrespondentin Ina Ruck in Moskau in den tagesthemen. "Das ist eine klare Putschdrohung - nicht gegen den Präsidenten, sondern gegen den Verteidigungsminister", so Ruck. Ob die Äußerungen wahr sind, sei unklar. "All das kann frei erfunden sein, kann stimmen."
Prigoschin stellt Kriegsgründe in Frage
Den ganzen Tag über hatte Prigoschin heftig gegen die Militärführung in Moskau gewettert - und deren offizielle Kriegsgründe infrage gestellt. Entgegen der russischen Propaganda-Behauptung sagte Prigoschin in einem Video, Russland sei vor Kriegsbeginn im Februar 2022 überhaupt nicht durch die Ukraine gefährdet gewesen. Die angeblich "wahnsinnige Aggression" vonseiten Kiews und der NATO habe es so nie gegeben.
"Das Verteidigungsministerium versucht, den Präsidenten und die Öffentlichkeit zu täuschen", sagte Prigoschin, der sich bereits seit Monaten in einem internen Machtkampf mit Schoigu befindet. "Die militärische Spezial-Operation wurde aus ganz anderen Gründen begonnen." Dann fügte der Wagner-Chef hinzu: "Der Krieg war notwendig, damit Schoigu den Titel eines Marschalls erhält. (...) Und nicht, um die Ukraine zu demilitarisieren und zu denazifizieren." Außerdem hätten sich russische und prorussische Oligarchen Vorteile von dem Krieg erhofft, sagte Prigoschin.
Russland rechtfertigt seinen Angriffskrieg immer wieder mit der Propagandabehauptung, das Nachbarland von angeblichen "Neonazis" zu befreien. Ein weiterer Kriegsvorwand ist die durch nichts belegte Behauptung, Kiew hätte Moskau mithilfe der NATO angreifen wollen.
Erfolgsmeldungen seien "totaler Unsinn"
Zudem machte Prigoschin, dessen Kämpfer zuletzt an der Eroberung der ostukrainischen Stadt Bachmut beteiligt waren, der russischen Armee auch schwere Vorwürfe mit Blick auf die laufende ukrainische Gegenoffensive. Die täglichen Erfolgsmeldungen über angeblich abgewehrte ukrainische Offensiven seien "kompletter, totaler Unsinn".
Nach Prigoschins Angaben hat die ukrainische Armee durch ihre Gegenoffensive die Truppen Moskaus in einigen Regionen zum Rückzug gezwungen. Die russische Armee ziehe sich an den Fronten von Saporischschja und Cherson zurück, sagte Prigoschin - und widersprach damit offen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, der immer wieder vom Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive gesprochen hatte.
"Was sie uns erzählen, ist eine bittere Täuschung"
"Die Streitkräfte der Ukraine drängen die russische Armee zurück", sagte Prigoschin in Online-Netzwerken. "Auf dem Schlachtfeld (...) zieht sich die russische Armee an den Fronten von Saporischschja und Cherson zurück." Mit drastischen Worten erhob der 62-Jährige harte Vorwürfe gegen die russische Militärführung: "Wir waschen uns in Blut. Niemand bringt Verstärkung. Was sie uns erzählen, ist eine bittere Täuschung."
Verteidigungsminister Schoigu will die Kontrolle über Prigoschins Wagner-Truppen gewinnen. Dazu hatte er vor Kurzem alle Freiwilligenverbände dazu verpflichtet, bis Ende des Monats Verträge mit dem Verteidigungsministerium zu unterschreiben. Doch Prigoschin lehnt das ab. Die meisten Militäreinheiten hätten keine vergleichbare Effizienz wie Wagner, so der Chef der Söldnertruppe.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.