In Dünkirchen (Frankreich) werden Zylinder mit russischem Uran abtransportiert.
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Debatte um russisches Uran "Frankreich fördert indirekt Russlands Strategie"

Stand: 26.04.2023 16:43 Uhr

Noch ist Uran aus Russland nicht Teil der EU-Sanktionspakete. Deutschland würde das gerne ändern, Frankreich bremst. Denn solche Handelsbeschränkungen würden einen ganzen Industriezweig empfindlich treffen. 

Noch ist das Gelände am Rande der großen grauen Produktionshallen von Tricastin, einem Kernkraftwerk nördlich von Avignon, ein trostloses Brachland. Aber in ein paar Jahren sollen hier neue Urananreicherungsanlagen stehen.  

Insgesamt vier zusätzliche Module sollen hier errichtet werden, erklärt Ingenieur Christophe Mei, der das Projekt leitet. Sein Chef, Francois Lurin, Direktor des Nukleartechnik-Konzerns Orano, sieht eine große Nachfrage für in Frankreich angereichertes Uran.

Die Investition in Tricastin reagiere auf den Bedarf der Kunden weltweit: "Sie wollen unabhängiger von in Russland angereichertem Uran werden. Vor allem die USA. Und wir wollen eine Antwort auf diese Nachfrage geben."

Das Ausmaß der Abhängigkeit bleibt unklar

Auch für die französische Atomstromproduktion ist diese Investition nützlich. Denn das Land bezieht angereichertes und Natururan aus Russland. In welchem Umfang, das können selbst Fachleute nicht sagen. Yves Marignac ist Fachmann für Atomenergie beim Kernkraft-kritischen Think Tank négaWatt. Gegenüber der ARD erklärt er diese Informationslücke damit, dass sich die Nuklearbranche weigere, Zahlen herauszugeben:

Es gibt ein Gesetz des Schweigens seitens der Regierung und der Nuklearindustrie. Es wird immer beteuert, Frankreich sei nicht von Russland abhängig, aber wenn wir nach Zahlen fragen, kriegen wir nicht die Informationen, die wir brauchen, um das Ausmaß der Abhängigkeit zu erfassen.
Ein Arbeiter läuft durch die Urananreicherungsanlage Georges Besse II.

In der Anlage Georges Besse II wird bereits Uran angereichert - in wenigen Jahren sollen am AKW Tricastin weitere Kapazitäten entstehen

Die Ministerin beschwichtigt

Aber es gibt Anhaltspunkte: Die europäische Atombehörde Euratom teilt mit, dass 2021 knapp 20 Prozent des in die EU gelieferten Natururans aus Russland stammten. Dazu kommen 23 Prozent aus Usbekistan und 25 Prozent aus Kasachstan - beides Länder, auf die Russland Einfluss auszuüben versucht.

Agnes Pannier-Runacher, Frankreichs Ministerin für die Energiewende, leugnet nicht, dass Russland Frankreich beliefert. Aber vor dem Wirtschaftsausschuss des französischen Parlaments betonte sie im vergangenen September: 

Wenn es um unsere Abhängigkeit von Russland geht, erinnere ich daran, dass wir aus ganz unterschiedlichen Ländern Natururan beziehen und dass wir technisch selbst in der Lage sind, Uran anzureichern.

In einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" im März versicherte sie außerdem, dass es "keinerlei Auswirkungen" auf den Betrieb der Atomreaktoren hätte, wenn die Verträge mit Russland morgen ausliefen.

Weitere Kooperationen

Enge Verbindungen mit dem russischen Staatskonzern Rosatom gibt es dennoch, unter anderem beim Turbinenbau. Der französische Konzern GEAST produziert seine Turbinen auch und vor allem für Rosatom, einen der größten Exporteure von Kernreaktoren weltweit. Das kritisiert der Atomenergie-Experte Marignac:

Frankreich hängt nicht nur von der Dynamik der russischen Nuklearbranche ab, um sein eigenes Turbinenwerk rentabel zu halten, sondern es fördert auch indirekt die geopolitische Strategie Russlands. Denn Moskau sichert mit dem Export und Betrieb von Reaktoren seinen Einfluss in anderen Ländern.

Joint Venture mit Auswirkungen

Und in Frankreich wiederum hängen nach Angaben des staatlich dominierten Atomstromproduzenten EDF knapp 2400 Arbeitsplätze von der Turbinenproduktion ab. Eigentlich wollte der französische Staat den russischen Konzern Rosatom sogar mit 20 Prozent am Kapital des Turbinenbauers GEAST beteiligen. Doch der Krieg hat diesen Plan auf Eis gelegt. Auf Nachfrage heißt es bei EDF: Diese Beteiligung sei gerade nicht aktuell.

Sehr aktuell hingegen ist die Zusammenarbeit bei der Herstellung von Brennelementen. Die EDF-Kraftwerkssparte Framatome hat mit Rosatom ein Joint-Venture gegründet, mit 25 Prozent russischer Beteiligung. Ausgerechnet in Deutschland, im niedersächsischen Lingen, wollen die beiden Konzerne Brennstäbe für Reaktoren russischen Bautyps produzieren - sofern die Bundesregierung doch noch grünes Licht geben sollte.

Der Herausgeber des World Nuklear Industry Status Reports Mycle Schneider verweist zur Begründung darauf, dass es in der Europäischen Union 19 Reaktoren russischer Bauart gebe, die mit solchen Brennelementen betrieben werden. Dazu kämen theoretisch noch 15 Reaktoren in der Ukraine, die mit solchen Brennelementen betrieben werden. Das sei das Ergebnis einer Marktanalyse.

Noch mehr Abhängigkeit?

Also ein sinnvolles Joint-Venture, um demnächst Brennelemente russischer Bauart in der EU produzieren und so die Bedarfe in Osteuropa selbst decken zu können? Atomkraftkritiker Marignac warnt: Mit dieser Kooperation reduziere Framatome nicht die Abhängigkeit von Rosatom, sondern im Gegenteil: Framatome lasse den russischen Konzern noch ein Stück tiefer in die französische Nuklearindustrie vorstoßen. Dabei sei es ethisch geboten, alle Brücken mit Rosatom abzubrechen.  

Eine Anfrage der ARD bei Framatome blieb zunächst unbeantwortet. Aber das Joint-Venture zur Brennelementeproduktion ist ganz im Sinne einer Vereinbarung, die Framatome und Rosatom erst im Dezember 2021 geschlossen haben. Darin heißt es, man wolle "strategisch" und "langfristig" kooperieren. 

 

 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 21. April 2023 um 09:47 Uhr.