Treffen der EU-Finanzminister Neue Schuldenregeln - aber welche?
Nur noch wenige Staaten halten sich an die EU-Regeln zum Schuldenmachen. Eine Reform soll also her, und hier wird es kompliziert. Denn die Ziele, die die Mitgliedsstaaten dabei verfolgen, gehen deutlich auseinander.
Christian Lindner von der FDP war der erste aus dem Kreis der 27 europäischen Finanzministerinnen und Finanzminister, der seine Skepsis direkt und mehr oder weniger unverhohlen zum Ausdruck gebracht hat: Das, was die EU-Kommission da zur Reform der Schuldenregeln in Europa vorschlage, gehe so nicht. Man brauche Verbesserungen, Anpassungen, mehr Verbindlichkeit, aber vor allem: gemeinsame Vorgaben, an die sich alle halten müssten, statt, wie er es nannte, eine Bilateralisierung der Vorgaben.
Bilateralisierung ist ein Wort, das es so eigentlich gar nicht gibt, das aber deutlich macht, worum es geht: Die Kommission will weg vom bisher geltenden Prinzip, dass jeder Staat in der EU grundsätzlich und jederzeit nicht mehr als 60 Prozent seiner Wirtschaftsleistung an Schulden anhäuft und dass die jährliche Neuverschuldung genauso grundsätzlich nicht über drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes hinaus geht.
So war es eigentlich schon 1997 im Vertrag von Amsterdam festgeschrieben worden. Die Werte galten nämlich auch für die so genannten "Konvergenzkritierien": Nur Staaten, die diese Kriterien dauerhaft erfüllten, sollten den Euro bekommen können.
Inzwischen fernab der Realität?
Inzwischen halten viele Mitgliedsstaaten, viele Abgeordnete im Europaparlament und eben auch die EU-Kommission das alles für überholt, man könnte auch sagen: für wirklichkeitsfremd. Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire pocht schon seit Jahren auf eine Reform, die den einzelnen Ländern mehr Spielraum beim Schuldenabbau gibt. Ganz ähnlich sieht es EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni aus Italien.
Das sei auch kein Wunder, so ist es immer wieder von liberalen und konservativen Europaparlamentariern zu hören, schließlich gehörten Frankreich und Italien ja auch zu den Ländern, die besonders hohe Schulden angehäuft hätten. Da sei es nur logisch, dass sie sich weniger strenge Regeln für die Haushaltsdisziplin wünschten.
Wer macht die meisten Schulden?
Tatsächlich liegt der italienische Schuldenstand bei gut 140 Prozent, der von Frankreich bei 111, Griechenland ist mit über 170 Prozent immer noch Spitzenreiter beim Schuldenmachen, trotz erheblicher Fortschritte beim Abbau des Staatsdefizites in den vergangenen Jahren.
Allerdings: Die fest geschriebenen 60 Prozent halten nur noch wenige und kleinere EU-Staaten ein, die Skandinavier sind darunter, die baltischen Staaten, die Niederlande oder Rumänien. Und selbst Deutschland reißt die Marke - zwar nur mit 66 Prozent, aber trotzdem.
Schuldenregeln nur noch auf dem Papier
Der Trend lässt sich schon seit Jahren beobachten, immer deutlicher seit der Corona-Pandemie: Europas Schuldenregeln gibt es eigentlich nur noch auf dem Papier. Nicht umsonst hat die Kommission sie deshalb auch ausgesetzt, als die Pandemie kam. Ab Ende dieses Jahres sollen sie aber wieder gelten. Aus Brüsseler Sicht natürlich am besten reformiert.
Das will selbst der als kühl und finanzpolitisch vorsichtig geltende EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis aus Lettland. Und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will es auch. Sie spricht davon, dass man zeitgemäße Schuldenregeln brauche, die den Staaten mehr finanziellen Spielraum zum Abbau ihrer Defizite geben.
Neue, teure Aufgaben
Dabei dürfte es auch entscheidend um die Frage gehen, wie Europa die Klimaneutralität finanzieren kann. Allein in Deutschland, so rechnen Wirtschaftsforscher, koste das jährlich 40 Milliarden Euro zusätzlich. In manchen Hauptstädten sieht man angesichts solcher Herausforderung wenig Alternativen zu neuen Schulden.
Doch auch das will die Kommission nicht. Nach jahrelangem Auftürmen zusätzlicher Defizite müsse man jetzt unbedingt wieder weg von einem solchen finanzpolitischen Kurs, allein schon, um die Inflation wieder einzufangen, sagt Dombrovskis. Und die Chefin der Europäischen Zentralbank Christine Lagarde hat die EU-Staaten zu einer neutralen Finanzpolitik aufgefordert, was bedeutet: Sie sollen möglichst nicht mit zusätzlichen und kreditfinanzierten Staatsausgaben den preisdämpfenden Effekt zerstören, den die Zentralbank mit ihrer Geldpolitik erreichen will - durch höhere Leitzinsen.
Widersprüchliche Interessen
Es ist also alles eine recht komplizierte Gemengelage: Die einen wollen am liebsten noch mehr Geld auf Pump ausgeben, andere wollen zumindest nicht plötzlich damit aufhören und auf Kosten ihres Wirtschaftswachstums ihr Staatsdefizit nach unten schrauben und wieder andere, Deutschland ganz besonders, wollen gerade jetzt Haushaltsdisziplin mit verbindlichen Regeln für alle.
Die Brüsseler Kommission versucht einen Mittelweg. Sie will einen Plan zum verbindlichen Schuldenabbau für jedes Land möglichst individuell festlegen, damit kein EU-Staat überfordert wird und sie will, wenn nötig, den Hauptstädten dafür deutlich mehr Zeit geben.
Am Ende gelte aber trotzdem: Die Schulden müssen runter. Deshalb bleibt es auch bei den Zielwerten in Höhe von 60 und von drei Prozent.
Regelverstöße ohne Konsequenzen
Der Bundesfinanzminister mag diesen Plan für wenig transparent und für zu unverbindlich halten. Dass die Schuldenregeln schließlich aber überhaupt nicht reformiert werden, daran glaubt in Brüssel kaum jemand. Schließlich hielten sich viele Staaten schon seit Jahren nicht mehr daran - und ernsthafte Konsequenzen habe es deshalb nie wirklich gegeben.
Und Regeln, die nur auf dem Papier stehen, die brauche wirklich keiner. Darüber werden die Finanzminister heute und morgen sprechen, im kühlen Stockholm. Kühl bleiben werden dabei wohl die wenigsten.