Sexualisierte Gewalt EU will Übergriffe gegen Frauen härter bestrafen
Die EU will Cyberstalking und Zwangsverheiratung künftig strenger bestrafen. Bei einer einheitlichen Ahndung von Vergewaltigungen gab es keine Einigung. Unter anderem stellte sich Deutschland quer.
Sexualisierte und häusliche Gewalt sollen in der EU künftig einheitlich schärfer geahndet werden. Unterhändlerinnen und -händler von Europaparlament und EU-Staaten einigten sich in Straßburg auf ein Gesetz, mit dem bestimmte Straftaten in allen Ländern gleich geregelt werden. Nach Angaben der EU-Länder und des Parlaments ist es das erste EU-Gesetz zum Kampf gegen sexualisierte Gewalt.
Cyber-Stalking, Zwangsheirat, weibliche Genitalverstümmelung - oder das Verschicken intimer Bilder ohne Einverständnis stehen demnach künftig in der gesamten EU unter Strafe. EU-weite Standards zu Vergewaltigungen hingegen wurden nicht vereinbart.
Die neuen Vorgaben müssen noch vom Parlament und den EU-Staaten abgesegnet werden. In den meisten Fällen ist das Formsache. "Heute machen wir den ersten Schritt, um Europa zum ersten Kontinent der Welt zu machen, der Gewalt gegen Frauen beseitigt", sagte die Verhandlungsführerin des Europaparlaments, Frances Fitzgerald.
Streit um Definition von Vergewaltigung
"Wir konnten bei der Definition von Vergewaltigung keine Einigung finde", sagte Fitzgerald. Das sei "wirklich eine große Enttäuschung - gerade, wenn man auf die hohen Zahlen von Gewalttaten in Europa schaut."
Das Parlament forderte hinsichtlich Vergewaltigungen eine Regelung, wonach jeder sexuellen Handlung zugestimmt werden müsse: Nur Ja heißt Ja. Mehrere Länder in der EU, darunter Frankreich und Deutschland, hatten das aber blockiert. Die Kritiker argumentierten, dass es für eine solche einheitliche Regelung keine rechtliche Grundlage im Europarecht gebe.
Die EU überschreite ihre Kompetenzen, wenn sie den Tatbestand der Vergewaltung EU-weit angleiche, hieß es. "Das kann man bedauern. Ich kann auch verstehen, dass sich Menschen etwas anderes wünschen. Aber das europäische Primärrecht ist nun mal so, wie es ist", sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP).
Unter anderem nationale Telefonhilfe geplant
Zuvor hatten mehr als 100 prominente Frauen in einem offenen Brief Buschmann aufgefordert, die Blockade aufzugeben. "Ich bin sehr enttäuscht, dass einige Mitgliedsstaaten sich entschieden haben, auf der falschen Seite der Geschichte zu stehen und die Aufnahme eines einwilligungsbasierten Vergewaltigungsgesetzes zu blockieren", sagte die sozialdemokratische Europaabgeordnete Evin Incir.
Die EU-Staaten sollen aber künftig eine nationale Telefonhilfe einrichten müssen, die Gewaltopfer rund um die Uhr und kostenlos erreichen können. Zudem sollen sie Maßnahmen ergreifen, um Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhindern. Diese sollen etwa darauf abzielen, ins Bewusstsein zu rufen, welche Formen von Gewalt es gegen Frauen gibt, und schädliche Geschlechterstereotype bekämpfen.
Juristinnenbund pocht auf Änderung
Auch Dilken Çelebi, Vorsitzende der Strafrechtskommission im Deutschen Juristinnenbund, unterschrieb den offenen Brief an Buschmann. "Jeden Tag werden zwischen sechs und sieben Frauen von ihrem Ex-Partner oder Partner in der EU getötet", zählt sie im Gespräch mit tagesschau24 auf. Die Zahlen zeigten die Notwendigkeit, zu handeln, so die Juristin. Jede dritte Frau habe physische und / oder sexualisierte Gewalt erfahren.
Der Juristinnenbund erkenne die Bedeutung der EU-Richtlinie, so Çelebi. Es sei "sehr, sehr wichtig", Gewaltschutz europaweit einheitlich zu gestalten. Dieser solle nicht vom Wohnort abhängen. Anders als Deutschland hätten "zahlreiche EU-Mitgliedsstaaten noch dieses nötigungsbasierte Modell", so Çelebi. Dabei werde auf Gewaltanwendung oder Drohung abgestellt, was weder völkerrechtlichen Vorgaben noch dem mittlerweile vorherrschenden Verständnis sexueller Selbstbestimmung entspreche.
Anders als Bundesjustizminister Buschmann nennt der Juristinnenbund eine Ausweitung des EU-Rechts für möglich. "Auch die Europäische Kommission und das Europäische Parlament sehen das so."