Butscha nach dem Massaker Verkohlte Leichen und Fassungslosigkeit
Noch immer sind nicht alle Opfer des Massakers von Butscha beerdigt. Minenräumer sind in dem Kiewer Vorort unterwegs. Nur wenige Menschen trauen sich schon wieder auf die Straßen.
Kleine Landhäuser mit Vorgärten säumen die Straße: die Fensterscheiben zerbrochen, die Giebel zerfetzt, die Hauswände zertrümmert. Vor den Gartentoren stehen ausgebrannte Panzer, zerquetschte Autos, ein Stiefel, in dem noch ein Fuß steckt. Völlig skurril erscheint ein Bobbycar, das noch in der Einfahrt steht, ganz unversehrt. Die Minen-Räumfahrzeuge sind in der Allee unterwegs, um die Straßen für Menschen wieder begehbar zu machen.
Nur wenige Leute trauen sich wieder raus, Victor zum Beispiel. Er war Journalist, sagt er. "War", so sagen das viele hier. Denn das war vor dem Krieg. Seine Frau und seine beiden Kinder haben es rechtzeitig aus der Stadt rausgeschafft, Victor ist geblieben - tagelang im Keller. Dann ging er zu Nachbarn, weil seine Wohnung völlig zerstört wurde und er nichts mehr zu essen hatte. Ständig Schüsse und Bomben über seinem Kopf, aber all das konnte er wochenlang nicht mit seinen Lieben teilen.
"Wir durften die Toten nicht beerdigen"
"Erst als die Russen weg waren, konnte ich überhaupt zum ersten Mal weinen. Ich konnte weder mit meinen Eltern noch mit meiner Familie reden", erzählt Victor. "Ich hatte so einen großen Kloß in meinem Hals, ich habe ihnen zugehört, aber es kam kein Wort aus mir heraus. Es war alles so furchtbar."
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.
Victor raucht Kette, seine Fingerkuppen sind dunkelgelb. Es sieht aus, als habe er in den vergangenen Wochen mehr geraucht als gegessen. "Hier aus dem Nachbarhaus ist ein Ehepaar gestorben und ein junges Mädchen. Sie war verletzt und die Russen hatten sie aus dem Haus geschleppt. Was sie dann mit ihr auf dem Hof gemacht haben, weiß ich nicht".
Tagelang hätten die Leichen des Mädchens und des Ehepaares einfach nur dagelegen: "Die Russen haben uns erst nicht erlaubt, die Toten zu beerdigen. Erst als sie weggingen, sagten sie, jetzt könnt ihr sie bestatten", berichtet Victor.
Erst erschossen, dann verbrannt
In einem anderen Hinterhof eines Hauses liegen noch Leichen, völlig verkohlt. Die Kriminalpolizei aus Kiew hat Schilder aufgestellt und untersucht den Tatort. Auf die Personen sei zuvor geschossen worden, sagen die Kriminalbeamten, dann erst seien sie verbrannt worden. Mutmaßlich um Spuren zu verwischen, aber das werde nun weiter untersucht.
Mehr als 100 Journalistinnen und Journalisten aus der ganzen Welt schauen dabei zu, wie die Leichen in Säcke gesteckt und dann abtransportiert werden. Das ukrainische Innenministerium hat die Fahrt für die Medien organisiert, Butscha ist noch Sperrzone. Denn die Minenräumer haben erst vor kurzem begonnen, die Straßen zu säubern.
"Er wurde einfach erschossen"
Auch zwei ältere Frauen wagen zum ersten Mal wieder einen kleinen Spaziergang. "Aus meinem Fenster hatte ich einen Mann gesehen, der mit dem Fahrrad fuhr. Er wurde einfach erschossen. Von einem Sniper", sagt eine der Frauen. "Wir durften auch abends keine Lichter anmachen. Sie haben gesagt, sobald sie Licht sehen, würden sie schießen."
Bald sollen internationale Teams nach Butscha kommen, um mögliche Kriegsverbrechen der russischen Streitkräfte aufzuklären. Victor will auch aussagen und bald einen langen Artikel darüber schreiben, was er in den letzten Wochen erleben musste. Aber dafür, sagt er, werde er wohl noch einige Zeit brauchen.