Breton und von der Leyen Überraschender Abschied, maximaler Affront
Bei seinem Rückzug als EU-Kommissar teilt Thierry Breton kräftig gegen Ursula von der Leyen aus. In Brüssel polarisierte der Franzose und scheute vor keiner Auseinandersetzung zurück.
Auch beim Abschied bleibt sich Thierry Breton treu. Ein Tweet mit einem großen leeren Bilderrahmen und dazu der Text: "Mein offizielles Portrait für die nächste Amtszeit der Europäischen Kommission". Damit niemand die Bedeutung der Meldung unterschätzt, setzte der Franzose ein dickes "Breaking News" darüber. Seine Botschaft: Eilmeldung, der Mann steht für die nächste Kommission nicht zur Verfügung!
Dass der 69-jährige Franzose ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein hat und einen ganz speziellen Humor, ist in Brüssel bekannt. Auch dass er wenig von seiner Chefin hält. Ihren Job hätte er am liebsten selber gemacht. Besser gemacht, daran ließ er nie einen Zweifel.
Überraschung trotz langer Spannungen
Obwohl das Verhältnis des Binnenmarktkommissars zu Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen seit Langem angespannt ist, kommt das Kündigungsschreiben überraschend. Breton war von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron offiziell für eine zweite Amtszeit in der neuen Kommission vorgeschlagen worden.
Aber da scheine etwas hinter seinem Rücken passiert zu sein, mutmaßt Breton in seinem Kündigungsschreiben. Das hat er vorsichtshalber auch in einem Tweet veröffentlicht, direkt unter dem Tweet mit dem leeren Bilderrahmen.
Es liest sich wie eine einzige Abrechnung mit von der Leyen - ein maximaler Affront, auf offener Bühne. Von der Leyen habe Macron gebeten, einen anderen Vorschlag für den Kommissionsposten zu machen. Das alles aus "persönlichen Gründen", nie habe von der Leyen darüber mit ihm gesprochen. Sie versuche sogar, Ersatz zu finden mit dem Angebot an Frankreich, dann ein attraktiveres, wichtigeres Ressort zu bekommen. Das alles sei ein weiterer Beweis "für fragwürdige Regierungsführung".
Zurückhaltung in Brüssel und Paris
Mehr Abkanzeln auf offener Bühne ist kaum möglich. Mehr Zurückhaltung in der Reaktion aber auch nicht. Zuerst gab es gar keine Stellungnahme der Kommissionspräsidentin. Dann, Stunden später, veröffentlichte Eric Mamer, Chefsprecher der Kommission, einfach die klärende Antwort aus dem Élysée-Palast. Macron schlägt für die neue Kommission seinen bisherigen Außenminister Stéphane Séjourné vor. Er soll den für Frankreich reservierten Sitz in Brüssel ausfüllen.
Für den scheidenden Breton findet die Depesche aus dem Élysée, nun ja, keine überschwänglichen Worte. Er sei ein "bemerkenswerter" Kommissar gewesen.
Glühende Anhänger, viele Kritiker
Das würde auch in Brüssel niemand bestreiten. Wenige Politiker haben in Europas Hauptstadt so sehr polarisiert wie der Franzose - es gab glühende Anhänger für seinen offenen, unverhohlen Interessen-geleiteten Stil, aber auch mindestens genau so viele Kritiker. Auf der Haben-Seite Bretons steht, jedenfalls aus französischer Sicht, die Renaissance der Atomkraft als förderungswürdige Form der Energieerzeugung.
In der Mitte seiner Amtszeit klang es noch maßlos überzogen, als Breton forderte, die Atomenergie müsse als nachhaltig eingestuft werden, wegen ihres Beitrags zur Einsparung von CO2. Kein Mitglied der Kommission unterstützte das damals, niemand hielt es für möglich.
Breton behielt am Ende Recht. Er setzte sich mit seiner Auffassung durch und im Rahmen der Taxonomie wurde der Atomenergie von Brüssel das Signum der Nachhaltigkeit verliehen - in der Hoffnung, dass die großen Finanzanleger keinen Bogen mehr um neue Kernkraftprojekte machen würden.
Breton gegen Musk
Dass Breton bei dieser wie auch bei anderen Entscheidungen ganz besonders die Interessen seines eigenen Landes im Blick hatte, brachte ihm Lob bei den Landsleuten ein. Aber auch heftige Ablehnung von seinen Kritikern - und das parteiübergreifend. Die Christdemokraten im Europäischen Parlament gehören dazu, aber auch Mitglieder der Bundesregierung in Berlin.
Lob von allen Seiten gab es dagegen für seinen selbstbewussten Umgang mit den großen IT-Konzernen von der US-amerikanischen Westküste. Breton bot ihnen die Stirn, er ging keinem Konflikt mit den Giganten aus dem Weg, wenn es darum ging, dass auch sie sich an das europäische Recht für die Online-Welt halten sollten. Allerdings ging die gute Absicht da manches Mal mit dem Binnenmarktkommissar durch.
"Lieber Herr Musk", schrieb Breton wenige Stunden vor dessen Live-Gespräch mit Donald Trump, "ich bin gezwungen, Sie an die Regeln zu erinnern." Breton erinnerte an die rechtsextremen Krawalle in Großbritannien, die Musk befeuert hatte. Deshalb bestehe die Gefahr, dass bei dem Gespräch mit Trump "gefährliche Inhalte" auch in der EU verbreitet würden. Auch ein Elon Musk habe die Pflicht, solche Inhalte zu moderieren.
Von der Industrie nach Brüssel
Die Attacke endete im eigenen Tor. Musk antwortete auf der ihm gehörenden Plattform X mit Posts, die eindeutig unter die Gürtellinie gingen. Niemand in Brüssel erinnerte sich, ob ein Kommissar schon einmal derartig beleidigt worden war. Ob Breton das als eine Niederlage empfand, ist nicht klar.
Breton hat internationale Großkonzerne geleitet, bevor er sich in die Niederungen der Brüsseler Administration begab und geht grundsätzlich keiner Machtprobe aus dem Weg. Der Franzose war Geschäftsführer von Honeywell Bull, von Thomson-RCA, France Télécom und von 2008 bis 2019 leitete er das internationale IT-Unternehmen Atos mit mehr als 100.000 Beschäftigten weltweit - da dürfte ihm die Beamtenwelt der Kommission hin und wieder klein vorgekommen sein.
Von der Leyens Suche nach Kommissarinnen
Bretons Attacken richteten sich auch vor seinem Rücktritt schon gegen von der Leyen persönlich - im Europawahlkampf zum Beispiel, als er ihre Nominierung zur Spitzenkandidatin der Christdemokraten offen herabwürdigte. Insofern hat die alte und neue Kommissionspräsidentin mit dem Rücktritt auch eine Nervensäge verloren, das dürfte sie nicht betrüben.
Ganz aufgegangen ist von der Leyens Rechnung gleichwohl nicht. Macron hat ihren Wunsch nicht erfüllt, eine Frau zu nominieren. Der Männer-Überhang in der neuen Kommission ist offensichtlich und ein eklatanter Rückschritt im Vergleich zu 2019, als das Geschlechterverhältnis so gut wie ausgeglichen war.
Wie die neue Mannschaft aussieht, wird die Kommissionspräsidentin morgen dem Europäischen Parlament in Straßburg präsentieren. Mit Séjourné anstelle von Breton und mit einem offenen Punkt beim Mitgliedsland Slowenien, wo die Nachnominierung einer Kandidatin noch nicht in trockenen Tüchern ist.