Bauern protestieren in Brüssel gegen die Europäische Union
europamagazin

Europäische Bauernproteste Woher kommt die Wut auf Brüssel?

Stand: 17.02.2024 11:29 Uhr

Europaweit demonstrieren Bauern gegen die Brüsseler Politik. Denn während die Standards in Europa immer höher werden, drücken Importe die Preise. Und das riesige EU-Agrarbudget kommt den Bauern oft nicht zugute.

Von Cornelia Kolden, ARD Brüssel

Tausende von Treckern verstopfen Brüssel und belagern das Europäische Parlament. Steine fliegen, ein Denkmal wird niedergerissen, Feuer brennen und die Polizei ist im Einsatz. Neu ist all das nicht. Keine andere Berufsgruppe macht ihre Unzufriedenheit über europäische Politik derart drastisch klar.

Und so erklärte Ursula von der Leyen eilig, dass die neue Pestizidverordnung vorerst zurückgezogen wird und auch die Brachflächen in der Landwirtschaft verzichtbar seien. Das allerdings reicht den Bauern nicht, und ist, zumindest was die Brachflächen angeht, auch kontraproduktiv.

Denn dass Biodiversität gerade für die Landwirtschaft wichtig ist, wird von den allermeisten anerkannt. Die Kritik an Brüssel geht tiefer.

Bauernproteste gegen europäische Agrarpolitik

Cornelia Kolden, ARD Brüssel, europamagazin, 18.02.2024 12:45 Uhr

"Es wird nicht der faire Preis bezahlt"

"Ich bin auch manchmal stinksauer, wenn ich sehe, dass für landwirtschaftliche Produkte nicht der faire, wirkliche Preis bezahlt wird", sagte die EU-Abgeordnete Maria Noichl der ARD. Die SPD-Frau aus Rosenheim vertritt die Interessen aller, die in der Landwirtschaft tätig sind, wie sie betont.

Agrarökonom Sebastian Lakner von der Universität Rostock stimmt dem zu und sieht auch Verbraucher und Verbraucherinnen in der Pflicht. "Wie viel kostet es, wie viel ist mir Nachhaltigkeit tatsächlich wert?", sei die Frage, die Verbraucher sich stellen müssten.

Einerseits sollen Bauern in Europa hochwertig, nachhaltig, unter Wahrung aller Umwelt- und sozialen Standards produzieren, dabei noch die Biodiversität fördern und das Tierwohl beachten. So will es die EU.

Freihandelsabkommen führen zu Dumpingpreisen

Aber dieselbe EU schließt Freihandelsabkommen, wo das Hauptaugenmerk auf unserer Exportwirtschaft im industriellen Bereich liegt. Was dagegen umgekehrt an landwirtschaftlichen Produkten in die EU eingeführt wird, unterliegt bei weitem nicht den Auflagen, die Bauern in der EU erfüllen müssen.

Deshalb können etwa nordafrikanische oder lateinamerikanische Länder auf ganz anderen Flächen, mit weitaus billigeren Arbeitskräften und mit in der EU verbotener Chemie Riesenerträge zu Dumpingpreisen erzielen. Darunter leiden vor allem die Spanier, die derzeit am meisten protestieren.

Brüsseler Gelder gehen großteils nicht an Landwirte

Ivanna Martinez vertritt die Viehzüchter und kleinen Landwirte um Madrid. Agrarpolitik solle nicht von einem Bürosessel aus gemacht werden, fordert sie während einer kleinen Demonstration im Gespräch mit der ARD. Die gemeinsame Agrarpolitik sei ein "perverses System".

Tatsächlich geht ein Großteil des riesigen Brüsseler Agrarbudgets vor allem in die Taschen von Großgrundbesitzern, denn die EU zahlt primär Geld für Flächen. Diese Landbesitzer verpachten lediglich an Bauern, die das Land bestellen. Der Verpächter kann ein ehemaliger Landwirt sein, aber mittlerweile sind es überwiegend Konsortien, die mit Landwirtschaft nichts zu tun haben.

Viele Landwirte haben so keinen Anteil an den Geldern aus Brüssel, denn sie müssen es an die Verpächter weiterreichen und zudem noch die Pacht zahlen. Ein weitaus geringerer Etat steht für Modernisierung, Biodiversität oder etwa gestiegene Energiepreise zur Verfügung.

Viele leiden unter Existenzangst

Viele Bauern möchten eigentlich schon aufgeben. Nachwuchs ist in der Branche schwer zu finden, und die Arbeit ist körperlich zu schwer, um sie bis ins hohe Alter zu machen. Wer bestehen will, muss viel investieren, zum Beispiel in moderne Maschinenparks und Ställe. Das spart Personal, ist aber äußerst kostspielig und verbraucht viel Energie, die immer mehr kostet.

So geraten Bauern in eine Dauerverschuldung. Das nutzen Discounter und die Lebensmittel verarbeitende Industrie aus und vereinen so eine derartige Marktmacht, dass sie den Bauern die Preise diktieren können. Dies sollte eigentlich durch das Kartellrecht verhindert werden, aber es in Anwendung zu bringen, dauert oft Jahre, wenn nicht Jahrzehnte.

"Sektor muss anders gefördert werden"

Und so wird europäisch wenig unternommen, um diese Marktmacht zu brechen. Fazit: Zahlreiche Bauern, insbesondere kleinere, die die EU fördern zu wollen vorgibt, müssen unter Erzeugerpreis abgeben, hängen massiv am Subventionstropf und leiden unter Existenzangst.

Eigentlich müsse der Sektor ganz anders gefördert werden, meint Agrarökonom Lakner. Eigentlich sollte eine europäische Agrarpolitik überlegen, was die größten Herausforderungen für die Betriebe sind. Und dafür müssten dann Förderprogramme angeboten werden, etwa für Klimaschutz, Bewässerung, moderne Tierhaltung oder Brachflächen.

Protest gegen ukrainische Getreideeinfuhren

Auch politische Entscheidungen können zu Verwerfungen führen, die kaum beachtet werden. So sind viele osteuropäische Bauern wütend, dass die EU Getreide aus der Ukraine in die EU lässt, das eigentlich für Drittstaaten bestimmt ist. Dort wird es auch dringend gebraucht, aber offenbar bleibt doch einiges - entgegen den Regeln - als kostengünstigere Konkurrenzware in der EU.

Das alles vor dem Hintergrund, dass sich in Europa teils eine Stimmung breit macht, dass "die Bauern" Tiere misshandeln, Grundwasser und Böden vergiften, schlechte Lebensmittel herstellen, ihre Schwierigkeiten übertreiben oder sich von rechter Politik instrumentalisieren lassen. Viele Landwirte finden das ungerecht.

Diese und weitere Reportagen sehen Sie im Europamagazin - am Sonntag um 12.45 Uhr im Ersten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste im Europamagazin am 18. Februar 2024 um 12:45 Uhr.