Vierter Besuch in der Ukraine Baerbock sagt Hilfe zu - und fordert Reformen
Aus Sicherheitsgründen wurde ihre Reise geheim gehalten: Am Morgen ist Außenministerin Baerbock in der ukrainischen Hauptstadt Kiew eingetroffen. Bei ihrem Besuch versprach sie anhaltende Unterstützung - und pochte auf Reformen.
Es ist ihr vierter Besuch seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine: Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ist in Kiew eingetroffen. Der Besuch der Grünen-Politikerin wurde aus Sicherheitsgründen zunächst geheim gehalten. Eine Woche vor der UN-Vollversammlung in New York dürfte der Besuch auch als Zeichen der Solidarität gedacht sein.
Weil der Luftraum über der Ukraine nach wie vor gesperrt ist, war Baerbock in der Nacht wie bei hochrangigen Politikerbesuchen üblich im Sonderzug von Polen aus in die Hauptstadt Kiew gefahren. Die Ministerin wurde vom deutschen Botschafter Martin Jäger am Bahnsteig abgeholt und begrüßt.
"Ukraine kann sich auf uns alle verlassen"
Bei ihrer Ankunft sagte Baerbock der Ukraine anhaltende Unterstützung auf dem Weg in die Europäische Union zu, pochte aber auch auf weitere Reformbemühungen - etwa im Kampf gegen die Korruption. Die Ukraine verteidige "auch unser aller Freiheit. So wie sich die Ukraine vor uns stellt, kann auch sie sich auf uns verlassen" - etwa darauf, dass Deutschland der Ukraine auf ihrem Weg in die Europäische Union entschlossen unter die Arme greife.
Die Ukraine hat seit Juni 2022 den Status eines EU-Beitrittskandidaten. Die EU-Kommission definierte damals sieben Reformprioritäten, von denen sie einige teils als erfüllt ansieht. Ein neuer Fortschrittsbericht der Kommission wird im Oktober erwartet.
Baerbock sagte, bei der Justizreform und der Mediengesetzgebung könne sich die Bilanz Kiews schon sehen lassen. Aber "bei der Umsetzung des Anti-Oligarchen-Gesetzes und dem Kampf gegen Korruption gilt es noch einen Weg zu gehen." Die EU müsse selbst zudem "zügig daran arbeiten, dass wir für mehr Stühle am Tisch richtig aufgestellt sind".
Baerbock besucht Umspannwerk bei Kiew
Etwa 50 Kilometer außerhalb des Stadtzentrums Kiews besuchte die Außenministerin ein Umspannwerk und informierte sich über die Bemühungen der ukrainischen Regierung, die Energieversorgung des Landes vor dem herannahenden Winter zu sichern. Der für den Wiederaufbau zuständige Vize-Ministerpräsident Olexandr Kubrakow zeigte der Grünen-Politikerin das etwa 40 Hektar große Gelände. Mit einer Leistung von rund 2.000 Megawatt ist das Werk für einen großen Teil der Elektrizitätsversorgung der Region zuständig.
Die Anlage war nach ukrainischen Angaben mehrfach von russischen Raketen und von aus dem Iran gelieferten Kamikazedrohnen getroffen worden. Einen schweren Angriff mit mehreren Drohnen gab es etwa in der Neujahrsnacht. Teile der Einrichtungen auf dem Gelände wurden dabei zerstört und mittlerweile wieder aufgebaut. Um das Werk herum sind mittlerweile hohe Netze errichtet worden, um die niedrig fliegenden Drohnen abzufangen.
Außenministerin Baerbock besichtigte ein Umspannwerk bei Kiew.
Absichtserklärung für Windpark unterzeichnet
Baerbock hatte bei ihrem Eintreffen erklärt, man wolle das Energienetz mit der Ukraine noch engmaschiger knüpfen. Familien sollten nicht um ihre Versorgung fürchten müssen, wenn Russlands Präsident Wladimir Putin Umspannwerke ins Fadenkreuz nehme. Deutschland lasse nicht nach, "die Ukraine bei ihrer Verteidigung gegen Russlands Aggression zu unterstützen: wirtschaftlich, militärisch, humanitär".
Geht es nach der deutschen Außenministerin, sollte die Ukraine verstärkt Erneuerbare Energien nutzen. So könnte rund um das Atomkraftwerk Tschernobyl in Zukunft ein Windpark entstehen. Bei einem Treffen im ukrainischen Umweltministerium unterzeichnete Baerbock eine entsprechende Absichtserklärung. Grüner Strom aus Tschernobyl sei auch eine Zukunftsversion für den Frieden, betonte Baerbock.
"Allererster Friedensschritt ist die Rückkehr der Kinder"
Bei Baerbocks Besuch ging es auch um mutmaßlich verschleppte Kinder. Russland raube vielen Tausenden ukrainischen Kindern ihre Zukunft. Sie würden aus Kindereinrichtungen, Waisenhäusern und Schulen verschleppt, "um sie in russische Umerziehungslager zu deportieren oder in Russland zur Adoption freizugegeben". Berichte über extreme Gehirnwäsche, mit der russische Stellen Kindern jede Brücke zu ihren Familien und ihrer Heimat zertrümmerten, brächen das Herz, so die Grünen-Politikerin.
Deutschland unterstütze Organisationen und Behörden, "die den traumatisierten Kindern wieder ein Zuhause in Sicherheit und Geborgenheit geben", sagte die Ministerin. Diese Verbrechen müssten aufgearbeitet werden. "Der allererste Friedensschritt ist, dass Putin diese Kinder zurück nach Hause lässt", forderte sie. Das Thema soll auch in der UN-Vollversammlungswoche eine wichtige Rolle spielen.
Die Bundesaußenministerin war zuletzt im Januar als erstes deutsches Kabinettsmitglied seit Beginn des Krieges in die nahe der russischen Grenze gelegene Ostukraine gereist und hatte das lange umkämpfte Charkiw besucht. Davor war sie nach Kriegsbeginn im Februar 2022 zwei Mal in Kiew - Mitte Mai 2022 als erstes Mitglied des Bundeskabinetts und Mitte September vergangenen Jahres.
Mit Informationen von Rebecca Barth, ARD-Studio Kiew.