Atomgipfel in Brüssel Eine Allianz für Kernkraft in Europa
Die Internationale Atomenergie-Agentur und Belgien laden heute zu einem Gipfel. Ihr Ziel: Kernkraft soll ein dauerhafter Bestandteil des Energiemixes in Europa bleiben - unter anderem dank Reaktortechnik, die es noch nicht gibt.
Sie wünschen sich eine strahlende Zukunft in der europäischen Energieversorgung: Vor rund einem Jahr hatte sich eine Allianz aus anfangs elf europäischen Staaten zusammengetan, die auf dem Feld der zivilen Nutzung und Forschung der Kernenergie zusammenarbeiten wollen. Inzwischen ist die Allianz auf 14 Mitglieder angewachsen. Sie bilden damit eine Mehrheit unter den EU-Staaten.
Beim Atomenergiegipfel in Brüssel wollen die Staats- und Regierungschefs heute die Potenziale der Atomkraft diskutieren. Eingeladen zu dem Treffen im Vorfeld des EU-Gipfels haben Belgien, welches die EU-Ratspräsidentschaft inne hat, sowie die Internationale Atomenergie-Agentur IAEA. Unter den Gästen sollen unter anderem Kommissionspräsidentin von der Leyen, Frankreichs Präsident Macron sowie der niederländische Premier Rutte sein.
Frankreich baut aus, Polen steigt erst ein
Angeführt wird die Allianz von Frankreich, das rund 65 Prozent seines Stroms aus Kernkraft bezieht. Ziel ist es, die in Europa installierte Leistung von Kernkraftwerken bis 2050 auf 150 Gigawatt zu steigern - ein Plus von rund 50 Prozent verglichen mit dem Status Quo.
Insgesamt zwölf der 27 EU-Mitgliedsstaaten betreiben Kernkraftwerke, in nur zwei Ländern sind Atomkraftwerke aktuell im Bau, in der Slowakei und in Frankreich, das in den kommenden Jahren sechs Anlagen bauen will. Zur Allianz gehören außerdem die Niederlande und Belgien, die ihre ursprünglichen Ausstiegspläne wieder aufgehoben beziehungsweise verschoben haben, und eine Reihe osteuropäischer Staaten - darunter Polen, das erst den Einstieg in die Atomenergie plant und sich vor allem eine günstige Energiequelle als Alternative zur Kohle erhofft. Bulgarien, Finnland, Rumänien planen weitere Reaktoren, ebenso Schweden. Deutschland hatte seine letzten drei AKW Mitte April 2023 abgeschaltet.
EU stuft Kernenergie teils als nachhaltig ein
Die EU ist in der Frage der Atomkraft in zwei Lager gespalten. Die Nuklear-Befürworter können einige Erfolge vorweisen: Der Net Zero Industry Act, das EU-Förderprogramm, das dem US-amerikanischen Inflation Reduction Act etwas entgegensetzen soll, wurde für die Atomenergie geöffnet. Auch gilt Kernenergie im Rahmen der sogenannten EU-Taxonomie unter bestimmten Voraussetzungen als nachhaltig, was den Zugang zu Investitionen erleichtern soll. Für die Branche ist das entscheidend, da sie ohne staatliche Subventionen kaum überleben kann.
Frankreichs AKW-Betreiber Electricité de France steckt tief in den Miesen. Die Atomallianz setzt deshalb nicht nur auf zukünftige Investitionen. Es geht auch darum, bestehende Projekte zu sichern. Mycle Schneider, Herausgeber des jährlichen World Nuclear Industry Status Report, verweist darauf, dass Atomenergie sich im Vergleich zu anderen Stromgewinnungs-Technologien im Markt nicht behaupten könne: "Wenn wir uns anschauen, wo investiert worden ist, dann sind allein im Solarbereich Kraftwerke in der Größenordnung von 440 Gigawatt ans Netz gegangen. Das heißt, dort wird massiv investiert."
Reaktor-Bauprojekte: Teuer und langwierig
Investitionen in die Atomkraft gelten als riskant: Veranschlagte Projektkosten ufern regelmäßig aus. Ebenso wird die durchschnittliche Bauzeit von zehn bis 15 Jahren meist überschritten.
Prominentes aktuelles Beispiel: die Doppel-AKW-Anlage Hinkley Point C im Vereinigten Königreich. Zu Baubeginn lagen die projizierten Kosten bei gut 20 Milliarden Euro. Auf Grundlage der heutigen Preise erreicht das AKW bereits Kosten von rund 50 Milliarden Euro. Statt 2025 dürfte der erste der zwei Reaktoren wohl erst in den 2030er Jahren ans Netz gehen.
Ein weiteres Beispiel ist der finnische Reaktorblock Olkiluoto III, der ursprünglich nach vier Jahren fertig sein sollte, aber erst 14 Jahre später ans Netz ging und mehr als doppelt so teuer wurde.
AKW der Zukunft: Kleine modulare Reaktoren
Ein alternatives AKW-Konzept soll Risiken und Kosten zumindest in der Theorie senken: Sogenannte Small Modular Reactors, auch SMR genannt, also kleine modulare Reaktoren, die nur etwa eine Leistung von bis zu 300 Megawatt elektrisch (MWe) erreichen. Zum Vergleich: Ein konventionelles Kraftwerk erreicht im Schnitt 1200 MWe. Der Vorteil bei diesen Minikraftwerken liegt also in der Skalierung.
Bereits in den 1950er Jahren als atomare Antriebstechnologie für Militär-U-Boote angedacht, gelangen kleine modulare Reaktoren immer wieder in die öffentliche Diskussion. Die mit ihnen verbundene Hoffnung: SMR sollen leichter, günstiger und zahlreicher gebaut werden können als konventionelle AKW. Energiepolitikanalyst Mycle Schneider ist skeptisch - denn noch exisistiert kein einziger SMR in Betrieb: "Das sind Powerpoint-Reaktoren. Zum größten Teil gibt es sie noch nicht mal auf Papier, sondern es sind schöne Bildchen. Wenn wir das vergleichen mit Vorläuferentwicklungen zum Beispiel im großen Druckwasserbereich, kann man nur feststellen, dass es Jahrzehnte dauert, bis ein solches Kraftwerk ans Netz geht."
Industrieallianz der EU-Kommission
Am weitesten fortgeschritten war ein Projekt des Herstellers NuScale Power Corporation im US-Bundesstaat Idaho, das jedoch vorzeitig gestoppt wurde. Auch hier überstiegen die Kosten die ursprüngliche Planung. Das Unternehmen bezweifelte außerdem, Abnehmer für den Strom zu finden.
In der EU ist der Traum von den SMR noch nicht ausgeträumt: Die EU-Kommission hat eine Industrieallianz zur Förderung ins Leben gerufen. Sie soll die Einführung kleiner modularer Reaktoren bis Anfang der 2030er Jahre beschleunigen und damit auch helfen, die Klima-Ziele des Europäischen Green Deal zu erreichen. Den SMR einen Schub zu verleihen, dürfte eines der Signale sein, welches vom heutigen Nuklearenergiegipfel ausgehen soll.