EU-Asylpolitik Einigung über Krisenmechanismus - und neue Fragen
Die EU-Staaten verständigen sich auf eine Krisenverordnung für ein EU-Asylpaket - jetzt können darüber Verhandlungen mit dem Parlament starten. Das debattierte am Vormittag - dabei wurden viele Vorbehalte deutlich.
Zu lange sei die europäische Gemeinschaft in doppelter Funktion unterwegs gewesen, gleichzeitig als Architekt und Feuerwehrmann - mit diesen Worten setzte der für Migration zuständige EU-Kommissar Margaritis Schinas im Europaparlament den Ton der Debatte über die Migrationspolitik.
Als Feuerwehr schaue Europa auch gerade wieder auf die Lage auf Lampedusa oder an der polnischen Grenze zu Belarus, wohin viele Migranten durch Schleuser geschleppt werden, häufig mit dem Ziel Deutschland.
Es müsse endlich Schluss sein mit dieser kurzfristigen Arbeit an der Feuerfront, so Schinas: "Wir reagieren auf unterschiedliche Ereignisse, auf kleine Brände hier und da mit Ad-hoc-Maßnahmen und Patchwork-Regeln. Das führt manchmal zu Ergebnissen, aber es hindert uns daran, die volle Effizienz, Einheit und Solidarität zu erreichen. Dies können wir nur mit dem Pakt für Asyl und Migration schaffen."
Nun kann verhandelt werden
Zeit also, so sein Bild, dieses Gerüst endlich fertig zu bauen. Ein entscheidender Schritt dazu wurde heute gemacht - außerhalb des Parlaments. Die EU-Mitgliedsstaaten hatten seit dem Treffen der Innenminister Ende vergangener Woche noch um letzte Details zum Krisenmechanismus gerungen. Dabei geht es um die Frage, wie weit ein Land, das unter besonderem Migrationsdruck steht, die Standards im Asylverfahren zeitweise senken darf.
Nun gab es grünes Licht - die Verhandlungen mit dem Europaparlament dazu könnten demnach bald beginnen. Das sei aber kein Selbstläufer, betont Birigt Sippel, die innenpolitische Sprecherin der Sozialdemokraten im Europaparlament: "Keine der beiden Institutionen kann das Migrationspaket alleine beschließen. Beide Seiten müssen Kompromisse machen. Die Bereitschaft dazu ist aber seitens einiger Mitgliedsstaaten nicht vorhanden."
Welcher Ansatz reduziert Migration?
Gesprächsbedarf gibt es vor allem auch über den Krisenmechanismus. Dabei zeige sich in der nun im Rat ausgehandelten Einigung, so der grüne Migrationsexperte Erik Marquardt, dass viele Mitgliedsstaaten glaubten, "man müsste Geflüchtete einfach noch ein bisschen schlechter behandeln als heute; immer jeden Tag noch ein bisschen schlechter behandeln als gestern - und dann würden sie schon irgendwann aufhören zu kommen. Ich meine: Man könnte zum Beispiel auch jetzt auch Abkommen machen, die die Lage vor Ort verbessern und legale Wege schaffen."
Die Migrationsabkommen sind ein weiterer wunder Punkt für viele im Parlament, das zeigt die heutige Debatte. Der Chef der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber, bleibt bei einem "pragmatischen Ansatz" und blickt dabei auf die Übereinkunft zwischen der EU und Tunesien: "Es ist ein richtiges Abkommen. 90 Prozent der Boote starten von Tunesien. Wir können die Außengrenze nur humanitär korrekt kontrollieren, wenn wir es in Partnerschaft mit unseren Nachbarn machen, so schwierig diese Nachbar auch sein mögen. Und dieses Abkommen ist auch Vorbild für andere Abkommen in Nordafrika."
Kritik am Abkommen
Eine Blaupause - damit bekommen offenbar immer mehr EU-Parlamentarier Bauchschmerzen. Denn zu Wochenbeginn ließ der tunesische Präsident Kais Said wissen, sein Land nehme "nichts an, was Gnaden oder Almosen ähnelt" und lehnte damit quasi die hunderte Millionen Euro an EU-Hilfe erst mal wieder ab.
Für diese Finanzhilfe sollte er im Gegenzug Fluchtwillige an der Überfahrt übers Mittelmeer hindern - Fortgang ungewiss. Der Vizevorsitzende der SPD-Fraktion im Eurppaparlament, Pedro Marques, kritisiert: "Die Herausforderung der Migration auslagern zu wollen, wird zum Desaster. Gerade wenn man glaubt, hunderte Millionen für autoritäre Herrscher wären der Trick. Wir müssen auch die vielen anderen Aspekte der Migration adressieren."
Marques spricht damit an, was vielen Abgeordnete am Pakt bisher nicht reicht: nämlich die Erkenntnis, dass beide Seiten der Medaille abgedeckt werden müssten. Deutlich mehr Maßnahmen zur Abschreckung müssten Hand in Hand gehen mit mehr Lösungen für innereuropäische Solidarität, wenn es also um Aufnahme von Geflüchteten geht. Etwa um die mehr als 600.000 Menschen, die allein in diesem Jahr Asylverfahren durchlaufen und damit für die legale Einwanderung nach Europa stehen.
Baerbock und Faeser sprechen von Erfolg
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bezeichnete die Einigung zum Krisenmechanismus als wichtigen Schritt nach vorne. Da die Ratsposition zur Krisenverordnung nun auch formal beschlossen sei, könnten die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament über ein gemeinsames europäisches Asylsystem jetzt weitergehen, teilte Faeser in Berlin mit. Sie sei froh, dass dies gelungen sei und die Bundesregierung ihre Vorstellungen von Menschlichkeit und Ordnung habe durchsetzen können.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) schrieb auf X, vormals Twitter, durch den Einsatz der Bundesregierung sei sichergestellt, dass die Krisenverordnung nur in sehr stichhaltig begründeten Fällen überhaupt gezogen werden könne. Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten sei im Krisenfall verpflichtend.
Das Dilemma der Parlamentarier
Das EU-Parlament steckt aber mit Bedenken, wie sie Marques äußerte, nun zunehmend in einem Dilemma. Lange haben sich die Mitgliedsstaaten mit ihrer Verständigung auf das wichtige Kapitel "Krisenmechanismus" Zeit gelassen.
Nun ist der Zeitdruck enorm: Es kommt auf die kommenden Wochen an, in denen Triolog-Verhandlungen starten und - bis spätestens Anfang Februar - auch zum Abschluss kommen müssen, damit der gesamte Pakt für Asyl und Migration noch vor den Europawahlen zu Stande kommen kann.
Andernfalls, und das will natürlich auch die Mehrheit der Europaparlamentarier nicht, stünde die EU migrationspolitisch vor dem Totalschaden.