Designierte EU-Kommissare Junckers Wackelkandidaten
Unter den 27 designierten EU-Kommissaren gibt es einige Wackelkandidaten. Heute müssen sich drei von ihnen den Fragen des Parlaments stellen. Nicht wenige rechnen damit, dass einige Kandidaten durchfallen. Wen könnte es treffen?
Eine "Revolution" nannte Jean-Claude Juncker seine Kommission bei der Präsentation Mitte September. 27 Kommissare hatte er ausgewählt, darunter fünf ehemalige Ministerpräsidenten und 19 Ex-Minister. Doch so sehr Juncker seine Truppe auch lobte, an der Eignung einiger künftiger Top-Beamter zweifeln EU-Parlamentarier, nationale Regierungen und Nichtregierungsorganisationen.
Denn in den Reihen der künftigen Amtsträger finden sich viele, deren bisherige Jobs zu Interessenskonflikten führen könnten. Das moniert auch die Lobby-kritische Organisation Corporate Europe Observatory (CEO) gegenüber tagesschau.de. Doch noch ist die Kommission nicht durch - erst müssen die designierten Kommissare die dreistündige Befragung des Europaparlaments überstehen.
Heute sitzen gleich drei von Junckers Wackelkandidaten auf dem heißen Stuhl: Der Brite Jonathan Hill, der Ungar Tibor Navracsics und der Spanier Miguel Arias Cañete. Am Donnerstag ist der Franzose Pierre Moscovici dran, am kommenden Montag die Slowenin Alenka Bratusek. Gegen alle gibt es Vorbehalte. "Ich wäre überrascht, wenn es nach den Anhörungen keinen Personalwechsel gäbe", sagt CEO-Sprecher Olivier Hoedeman.
Jonathan Hill - ein "Banken-Lobbyist"?
Nach seiner Ansicht ist einer der Kandidaten der Brite Jonathan Hill. Der 54-Jährige soll das Ressort Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion leiten. Ein Experte auf dem Gebiet ist er, doch im Europaparlament wird seine Unabhängigkeit angezweifelt.
Weil er eine Beraterfirma mitgegründet hat, die auch Finanzunternehmen berät, ist Hill als "Banken-Lobbyist" verschrien. Auf die Kritik an Hill reagierte Juncker bereits: Er entzog dem britischen Konservativen die Zuständigkeit für die Gehälter von Bankern. Die EU will deren Boni kappen, wogegen sich die Regierung in London vehement wehrt. ARD-Korrespondent Rolf-Dieter Krause hält Hill dennoch für einen sicheren Kandidaten: "In einer Situation, wo in Großbritannien über die EU-Mitgliedschaft abgestimmt werden soll, kann ich mir nicht vorstellen, dass ein britischer Kommissar nach Hause geschickt wird", sagt Krause.
Tibor Navracsics - ein Feind der Presse?
Politische Gründe könnten auch den umstrittenen ungarischen Kandidaten Navracsics vor einer Ablehnung retten. Denn inhaltlich sind sich seine Kritiker einig: Der ehemalige ungarische Justizminister hat in seiner Heimat massiv die Pressefreiheit eingeschränkt. Als EU-Kommissar für Kultur, Bildung, Jugend und Bürgerschaft fiele nun aber genau dieser Bereich in seine Zuständigkeit. Der Deutsche Kulturrat hat bereits massive Bedenken gegen Navracsics geäußert. Auch Europa-Experte Krause hält die Personalie für bedenklich. Dass das Europaparlament ihn aber ablehnt, glaubt er nicht: "In Brüssel wird befürchtet, dass dann ein anderer Kandidat käme, der im Zweifel noch schlimmer wäre."
Miguel Arias Cañete - ein "Öl-Kommissar"?
"Erfahrungsgemäß gehen nie alle Kandidaten durch", sagte Parlamentspräsident Martin Schulz. Als gefährdet gilt der 64-jährige Spanier Cañete. Er soll sich künftig um Klimapolitik und Energie kümmern. Bis vor kurzem hielt der konservative Politiker aber noch Anteile an einer Ölfirma. Auch deshalb sei seine Nominierung als Provokation wahrgenommen worden, sagte Lobby-Kritiker Hoedeman gegenüber tagesschau.de: "Ich wäre erstaunt, wenn er den Posten tatsächlich antreten dürfte." Auch die Grünen befürchten, dass Cañete vor allem ein "Öl-Kommissar" werde, der mit erneuerbaren Energien nicht viel am Hut habe. Ihre Vorbehalte äußerte die Partei in einem Brief an Juncker. Cañetes Frau, sein Sohn und sein Schwager seien weiterhin Anteilseigner oder Vorstandsmitglieder von Ölfirmen. Kritiker werfen ihm außerdem vor, sich in der Vergangenheit sexistisch geäußert zu haben. Den Spanier hält auch Krause für einen der Wackelkandidaten.
Pierre Moscovici - Zuhause nichts im Griff?
Anders sieht Krause die Personalie Moscovici. Dem 57-jährigen Franzosen will Juncker den Bereich Wirtschaft und Finanzen anvertrauen. In der Vergangenheit hat Moscovici auf diesem Gebiet jedoch nicht unbedingt Erfolg gehabt: Als Finanzminister bekam der Sozialist das Schuldenproblem seines Landes nicht in den Griff. "Und jetzt soll er andere Staaten beaufsichtigen, ob sie Stabilitätspolitik machen", kritisiert der Chef der CDU- und CSU-Abgeordneten im Europaparlament, Herbert Reul. Das sei in der Tat eine bemerkenswerte Personalie, sagte Krause. Dennoch stecke Kalkül dahinter. Juncker nehme die Länder in die Pflicht, die sich sonst am lautesten beschweren. Mit der Vergabe von Schlüsselressorts an Großbritannien und Frankreich stelle er sicher, dass die Länder in Zukunft nicht mehr über Bevormundung aus Brüssel klagen. "Ein gewagtes Konzept", sagt Krause.
Alenka Bratusek - die selbsternannte Kandidatin
Gewagt war auch der Weg der 44-jährigen sozialliberalen Slowenin Bratusek nach Brüssel: Nach ihrem Rücktritt als Ministerpräsidentin des Landes hat sich Bratusek selbst für den Kommissionsposten in Brüssel vorgeschlagen. Deshalb steht sie in der Heimat in der Kritik. Doch Juncker wollte sie unbedingt auf dem wichtigen Vizepräsidentenposten für die Energieunion haben. In der Heimat werden derzeit die Umstände ihres Wechsels zur EU untersucht. ARD-Korrespondent Krause: "Das gibt kein gutes Bild ab. Deshalb ist Bratusek die Wackelkandidatin schlechthin."
Umbildung ist eher Regel als Ausnahme
In der Vergangenheit gab es selten so viele strittige Kommissare wie jetzt. Dennoch wurden nach den Anhörungen regelmäßig Posten neu besetzt.
Brüssel-Korrespondent Krause hält es dennoch für möglich, dass "dieses Mal keiner rausgeschossen wird". Der Grund: "Juncker ist mehr der Kommissionspräsident des Parlaments als irgendeiner vor ihm", sagt Krause. Deshalb habe das Parlament ein großes Interesse daran, ihn zu stützen. Deutlich geworden sei das bei den ersten Befragungen. Von Grillen könne da nicht die Rede sein. Die Fragen des Parlaments seien sehr zahm gewesen.
Ginge es nach Olivier Hoedeman, dem Lobby-Kritiker von CEO, sollte Juncker sein Personal auch ohne Anhörung noch einmal überdenken: "Die Kritik kann er nicht überhören. Sollte er es doch tun, wäre das sehr schlecht für den Ruf der EU-Kommission."