EU-Parlamentarier befragen Oettinger "Digitales wichtiger als Straßen"
Als Internetexperte ist Günther Oettinger bisher nicht bekannt. Kleinlaut gab sich der designierte Digitalwirtschafts-Kommissar der EU bei seiner Eignungsprüfung durch die Parlamentarier dennoch nicht. Stattdessen forderte er Investitionen: In Digitales statt Straßen.
Seit heute werden die designierten EU-Kommissare vom Europaparlament einzeln befragt. Als Dritter der insgesamt 27 Kandidaten musste sich der deutsche Vertreter Günther Oettinger den Parlamentariern stellen. In den kommenden fünf Jahren soll sich der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident um die europäische Digitalwirtschaft kümmern.
Bei der Anhörung rief der bisher nicht als Internetexperte bekannte Oettinger eine "Aufholjagd" aus: "Noch vor Straßenbau und noch vor Schienenwegebau ist nichts so sinnvoll wie die Modernisierung der Energie- und der ICT-Infrastruktur" (information and communication technology). Das Geld sei gut angelegt, denn die Investitionen würden für Wachstum sorgen.
Oettinger fordert Geld für Internetwirtschaft
Außerdem forderte der 60-Jährige, einen "nennenswerten Betrag" des angekündigten 300-Milliarden-Euro-Investitionsprogramms der EU für die Internetwirtschaft bereit zu stellen. Eine genaue Zahl nannte er jedoch nicht.
Besonders im Vergleich zu den USA sieht Oettinger die EU im Hintertreffen: "Wenn Sie nur die zehn größten Adressen der USA addieren, haben Sie eine Kapitalkraft, mit der man gut und gerne die 50 bis 80 größten Unternehmen Europas übernehmen kann", sagte der designierte Digitalkommissar. "Hier steckt im Grunde genommen ein Gefahrenpotenzial", warnte er.
Die Befragung der designierten Kommissare dauert jeweils drei Stunden. Die Abgeordneten prüfen dabei, ob die Bewerber fachlich und persönlich für das Amt geeignet sind. Am 22. Oktober stimmt das Plenum über die gesamte Kommission ab. Ohne Zustimmung der EU-Volksvertretung können der designierte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und seine 27 Kommissare nicht wie geplant am 1. November den Dienst antreten.
Martin Sonneborn ist nicht nur Satiriker, sondern auch EU-Parlamentarier. Als solcher "grillte" er den designierten EU-Kommissar Oettinger in der Fragestunde. So wollte der Abgeordnete der Spaßpartei "Die Partei" von Oettinger wissen, ob er sich das Recht auf Vergessen im Internet einsetzen wolle. Und wenn ja, wie er verhindern wolle, dass seine umstrittenen Äußerungen zur Nazi-Vergangenheit seines Vorgängers als Ministerpräsident Baden-Württembergs, Hans Filbinger, "aus Versehen gelöscht werden?" Schmunzelnd fragte der Satiriker weiter: "Und dass sie ihren Führerschein mit 1,4 Promille abgeben mussten?" In Anspielung auf Oettingers berüchtigte Englischkenntnisse fügte er hinzu: "Können sie diese Frage bitte auf Englisch beantworten?"
Oettinger konterte kühl: "Ich habe die Absicht, Ihre Fragen zu beantworten, aber Ihre Befehle nur eingeschränkt zu befolgen", sagte Oettinger mit starrer Mine und auf Deutsch. "Ich habe meinen Führerschein vor einem Vierteljahrhundert verloren, dazu stehe ich." In Vergessenheit gerate seine Vergangenheit auch deshalb nicht, weil sie in der Zeitung stehe.