Streit um Migrationspolitik EU uneins vor Asylgipfel
Der EU-Sondergipfel will striktere Asylregeln erreichen. Enden wird er wohl ohne Abschlusspapier - nach Intervention Italiens. Mittlerweile plant auch die EU-Kommission Aslyzentren außerhalb Europas.
Der Zwist um die EU-Flüchtlingspolitik ist verfahren - wenngleich alle Seiten nach Lösungen suchen. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hatte zuletzt einen Entwurf für eine gemeinsame Erklärung von zehn Mitgliedsstaaten vorgelegt, die am Sonntag über die Regelung von Asylfragen beraten wollen.
Doch nun verkündete Italiens Regierungschef Giuseppe Conte, das Papier werde beiseitegelegt. Er habe einen Anruf von Bundeskanzlerin Merkel erhalten, die sich besorgt über seine drohende Absage des Treffens gezeigt habe: "Ich habe ihr bestätigt, dass es für mich inakzeptabel gewesen wäre, an diesem Gipfel teilzunehmen, wenn es schon einen vorgefertigten Text dafür gibt." Merkel habe ihm daraufhin versichert, es liege ein Missverständnis vor. "Das Treffen wird nicht mit einem geschriebenen Text abschließen", sagte Conte.
Junckers Plan: Ein "flexibler Rücknahmemechanismus"
Vorgesehen war in Junckers Erklärung Medienberichten zufolge ein "flexibler gemeinsamer Rücknahmemechanismus nahe an den Binnengrenzen" der EU und Maßnahmen, die die Weiterreise von Asylbewerbern innerhalb der EU verhindern sollen. Dazu hätten verschärfte Kontrollen an Bahnhöfen, Busbahnhöfen und Flughäfen ebenso gezählt wie die Regelung, dass Flüchtlinge Sozialhilfe künftig nur noch im für sie zuständigen EU-Staat erhalten können.
Italiens populistische Regierung ist auf einen härteren Kurs in der Migrationspolitik eingeschwenkt. Premier Conte hatte bereits im Vorfeld mit einer Absage des Treffens gedroht, zu dem Juncker außerdem Deutschland, Frankreich, Österreich, Griechenland, Spanien, Malta, Bulgarien, Belgien und die Niederlande eingeladen hat.
Geplant: Asylzentren in Nordafrika
Der Innen- und Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos gab unterdessen bekannt, die EU strebe Aufnahmezentren in Nordafrika für Einwanderungswillige an. Man führe bereits Gespräche mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM), sagte er. Mit der Einrichtung der Zentren solle verhindert werden, dass Migranten sich in Booten auf den Weg nach Europa machten. In Seenot geratene Flüchtlinge sollten nach ihrer Rettung nicht automatisch in die EU, sondern an die Sammelpunkte in Nordafrika gebracht werden. Ihre Asylansprüche sollten dort geprüft werden, im Falle einer Ablehnung will die EU ihnen die Rückkehr in ihre Herkunftsländer subventionieren.
Die Menschen müssten Schutz erhalten und mit Würde behandelt werden, betonte Avramopoulos. "Ich bin gegen ein Guantanamo Bay für Migranten", sagte er mit Blick auf das umstrittene US-Gefangenenlager auf Kuba. Für die angedachten Ausreiseplattformen kämen Standorte in Algerien, Ägypten, Libyen, Marokko, Niger und Tunesien infrage. Allerdings räumte Avramopoulos ein, bislang habe sich noch kein einziger Staat zur Einrichtung solcher Sammelzentren bereiterklärt.
Streit mit Visegrad-Staaten und Österreich
Eine ähnliche Lösung hatten schon EU-Staaten ins Spiel gebracht, die in Asylfragen einen besonders restriktiven Kurs vertreten: Die Regierungen Dänemarks und Österreichs hatten verkündet, sich mit einer kleinen Gruppe Mitgliedsstaaten über die Einrichtung von Aufnahmezentren auf dem Balkan, etwa in Albanien, abzustimmen. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz hatte mit dem Vorschlag bei CSU-Chef Horst Seehofer Zustimmung geerntet, dessen Partei sich für einen nationalen Alleingang Deutschlands bei der Zurückweisung von Migranten an der Grenze einsetzt.
Inzwischen verläuft der Streit um den Umgang mit Flüchtlingen mitten durch die Union und droht die Bundesregierung zu spalten. Bundeskanzlerin Merkel betonte in der Frage zum einen die humanitäre Verantwortung Europas, zum anderen die Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen Lösung.
Ob das Nachbarland Österreich dabei mitziehen oder auf dem Gipfeltreffen am Sonntag überhaupt erscheinen wird, ist unklar: Kurz nahm heute an einem Treffen der Visegrad-Staaten Ungarn, Polen, Tschechien und der Slowakei teil, die eine Aufnahme von Flüchtlingen gänzlich verweigern. "Wir fahren nicht", sagte Ungarns Ministerpräsident Orban nach der Zusammenkunft im Namen der Visegrad-Staaten. Das einzige Forum, das zu Entscheidungen in der Migrationsfrage befugt sei, sei der Europäische Raat, nicht die EU-Kommission.