Vor dem EU-Herbstgipfel Alle Probleme auf der Tagesordnung
Syrien, Flüchtlingspolitik, CETA und Brexit: Beim zweitägigen EU-Gipfel in Brüssel stehen alle aktuellen Großbaustellen auf der Tagesordnung. Im Gegensatz zu Bratislava sind wieder alle 28 Staats- und Regierungschefs geladen. Kann eine CETA-Blamage verhindert werden?
"Ruhe bewahren und weitermachen!" - so könnte das Motto für diesen Etappengipfel lauten. Seit Juni ist klar, dass die Briten die EU nach mehr als 40 Jahren Mitgliedschaft verlassen wollen. Über den Anfangsschock des Referendums ist man inzwischen hinweg, doch mit den juristischen und ökonomischen Nachwehen wird man noch lange zu kämpfen haben.
Während die Regierung in London noch nach der richtigen Strategie zu suchen scheint, setzen die übrigen EU-Chefs ganz auf Zusammenhalt. Nach dem EU-Sondergipfel in der Slowakei im September sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Der Geist von Bratislava war ein Geist der Zusammenarbeit. Alle sind davon überzeugt, dass wir ohne die europäische Einigung diese Ziele nicht erreichen können."
Merkel lobte im September den "Geist von Bratislava".
Nur Wunschdenken?
Auch wenn mancher das neue Wir-Gefühl für Wunschdenken hält, in Bratislava hatten sich 27 EU-Staaten wenigstens auf einen Fahrplan geeinigt, wie man die wohl schwerste Krise seit Gründung der Union gemeinsam bewältigen will. Die Britin Theresa May, die erstmals als Premierministerin am großen Ratstisch sitzt, muss mit Gegenwind rechnen.
Auf Vorschlag von Konferenzleiter Donald Tusk soll sie ihre Kollegen über den Stand der Dinge in Sachen Brexit informieren. Aus Diplomatenkreisen hieß es dazu vorab, Mays Ausführungen würden sicher auf "großes Interesse" stoßen. Man hoffe auf mehr Details.
Salz&Essig statt Rosinenpickerei
Bis Ende März will Downing Street die Scheidung offiziell einreichen. Dann dürften schwierige Verhandlungen beginnen. Zentrales Problem: Die Briten wollen höchstwahrscheinlich im Binnenmarkt bleiben, aber gleichzeitig die Freizügigkeit für EU-Bürger beschneiden. Nicht nur Ratspräsident Tusk lehnt solche "Rosinenpickerei" ab. Der Pole droht bereits mit einem "harten Ausstieg", der für beide Seiten bitter würde. Es werde keinen Kuchen, sondern nur Salz und Essig für die Briten geben, kündigte er an.
Bis die Salz- und Essig-Phase beginnt, wollen sich die Staats- und Regierungschefs auch im eigenen Interesse handlungsfähig zeigen und - soweit möglich - zur alten Routine zurückkehren.
Dauerbrenner Flüchtlingspolitik
Gelegenheiten dazu hält die Gipfelagenda bereit: Beim Dauerbrenner Flüchtlingskrise etwa kann man in jüngster Zeit durchaus auf Erfolge verweisen. So ist der Aufbau einer Europäischen Küstenwache für mehr Schutz der Außengrenzen in vollem Gang, das EU-Türkei-Abkommen zeigt trotz einiger Schwierigkeiten Wirkung. Und um auch auf der zentralen Mittelmeer-Route die Zahlen langfristig unter Kontrolle zu behalten, sind sogenannte "Migrationspartnerschaften" mit zunächst fünf afrikanischen Ländern geplant.
Die Idee: Mali, Äthiopien, Niger, Nigeria und der Senegal erhalten finanzielle Hilfe. Im Gegenzug verpflichten sie sich, ihre Grenzen wirksamer zu kontrollieren und abgelehnte Asylbewerber zurückzunehmen. Die Kanzlerin drückt das so aus: "Vorrang hat, das Leid der Menschen in irgendeiner Weise zu lindern."
Neue Sanktionsbeschlüsse sind unwahrscheinlich
Auch die derzeit wichtigste Fluchtursache, der brutale Bombenkrieg gegen das syrische Aleppo, wird beim Treffen der 28 Staaten Thema sein. Über Syrien soll im Rahmen einer breiteren strategischen Debatte gesprochen werden, die auch das gespannte Verhältnis zu Russland beinhaltet.
Bereits Anfang der Woche hatten sich die EU-Außenminister damit befasst, sich jedoch nicht auf weitere Sanktionen gegen Moskau oder das mit ihm verbündete Assad-Regime verständigen können. Mehr als ein formeller Protest ist hier nicht zu erwarten.
Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Hollande werden dem Rat außerdem von ihrem Treffen mit Wladimir Putin berichten, bei dem es auch um mögliche Fortschritte im Ukraine-Konflikt ging.
Wie geht es mit CETA weiter?
Für die einzige Überraschung könnte CETA sorgen: In einer Woche soll das Freihandelsabkommen mit Kanada eigentlich feierlich unterzeichnet werden. Doch weil sich die belgische Region Wallonie quer stellt, stehen die Zeichen momentan auf Halt. Beobachter schließen nicht aus, dass es den Chefs gelingt, am zweiten Gipfeltag den gordischen Knoten zu durchschlagen.
Schließlich, so ein deutscher Diplomat, sei das föderale Belgien für die "enorme Fähigkeit, Kompromisse zu schließen“, bekannt. Sollte die diesmal versagen, droht der EU freilich eine Blamage.