Reaktion auf EU-Gipfel Polens Regierung feiert "Erfolg"
Nach dem Marathon-EU-Gipfel fühlen sich alle irgendwie als Gewinner. Das mag der Euphorie geschuldet sein, sich am Ende doch noch geeinigt zu haben. Polen und Ungarn sehen im Ergebnis zudem Interpretationsspielraum.
In Warschau wie in Budapest spricht man von einem großen Gipfel-Erfolg - jedenfalls im jeweiligen Regierungslager. Mehr denn je habe der polnische Verhandlungsführer, Premierminister Mateusz Morawiecki, herausgeholt für sein Land. Der hatte zudem in Brüssel betont, dass es gelungen sei, eine "direkte Verbindung" zwischen EU-Haushaltsmitteln und der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit abzuwehren.
Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem Bündnispartner in dieser Frage, dem ungarischen Premier Viktor Orban, sagte Morawiecki:
Es gibt diese unmittelbare Verbindung zwischen der sogenannten Rechtsstaatlichkeit und den Haushaltsmitteln nicht. Der Mechanismus, der ausgearbeitet werden soll, muss durch den Europäischen Rat bestätigt werden, und der beruht auf Einstimmigkeit. Also ohne Zustimmung Polens und der Staaten der Visegrad-Gruppe wird hier nichts geschehen.
Polen sei in der Frage "nach allen Seiten abgesichert", versicherte Morawiecki in einem weiteren Fernsehinterview.
PiS sieht sich auf der sicheren Seite
Aus Sicht der polnischen Regierung, die vor allem wegen umstrittener Reformen der Justiz in Brüssel am Pranger steht, ist "Rechtsstaatlichkeit" ein zu schwammiges Kriterium und könnte missbraucht werden, um das Land politisch zu erpressen.
Verschiedene Politiker der regierenden PiS-Partei hatten die Abwehr eines solchen Mechanismus zur Überlebensfrage für die Souveränität des Landes ("Veto oder Tod") erklärt. Dass es nun gelungen sei, die "zweifelhafte Idee" zu "blockieren", unter Verwendung eines unpräzisen Begriffs wie "Rechtsstaatlichkeit" Ländern den Zugang zu Mittel zu versperren, erklärte nun auch Michal Dworczyk, der Chef der Kanzlei des Premierministers.
"Jemanden mitnehmen, der Englisch spricht"
Oppositionspolitiker interpretierten die Brüsseler Einigung hingegen ganz anders, dass es nämlich doch einen harten Rechtsstaatsmechanismus geben und Polen doch Gefahr laufen werde, EU-Mittel zu verlieren. "Vielleicht sollte man das nächste Mal jemanden mitnehmen, der Englisch spricht", spottete die liberale Politikerin Katarzyna Lubnauer.
"Morawiecki widerspricht direkt dem, was dort schwarz auf weiß in die Endfassung geschrieben wurde, nämlich dass der Europäische Rat die Frage der Rechtsstaatlichkeit klärt." Und zwar, wie in dem Brüsseler Abschlussdokument zu lesen ist, mit "qualifizierter Mehrheit", also gerade nicht einstimmig.
"Rechtsstaatsmechanismus": Ist der Wille da?
Eine andere Frage allerdings ist, ob, wenn es in Brüssel noch jemand will, wirklich ein harter Rechtsstaatsmechanismus zustande kommt, und ob dafür dann tatsächlich die gebotene qualifizierte Mehrheit zustande kommt. Denn schon das laufende Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge steckt nicht nur deswegen fest, weil am Ende ein Entzug der Stimmrechte für Rechtstaatssünder einstimmig beschlossen werden müsste.
Auch für Zwischenschritte, für die eine Mehrheit gereicht hätte, kam es nie zum Schwur. Zu unsicher schien, ob sich ausreichend viele Länder überhaupt dahinter stellen. Vor allem Länder aus der Region sind skeptisch, ob ein harter Kurs gegen das wichtigste EU-Land im Osten nicht mehr Schäden anrichten würde, als damit zu erreichen wäre.
Auch Teile der Opposition sind unschlüssig, ob die Verknüpfung von EU-Hilfen mit Rechtsstaatskriterien wirklich eine gute Idee ist. Seitens der polnischen Linkspartei hieß es, am Ende würden einfache Menschen für die Fehler der Regierung bestraft, etwa Bauern, die eventuell auf Hilfen verzichten müssten. Dass die Menschen immer wieder mehrheitlich für diese Politik gestimmt hatten, steht freilich auf einem anderen Blatt.
Polen bleibt großes Empfängerland
Etwas in den Hintergrund geriet bei alledem, dass Polen grundsätzlich eines der größten Empfängerländer von EU-Mitteln bleiben soll, auch der Corona-Hilfen, obwohl nach Prognosen Deutschlands östlicher Nachbar relativ glimpflich davon kommen könnte. Grundsätzlich sind für das Land laut Regierungsangaben rund 160 Milliarden Euro vorgesehen; Polens Anteil am Gesamtkuchen habe sich damit nur leicht reduziert, so Kommentatoren in Warschau.
Morawiecki versprach, künftige Gelder in den Ausbau der Infrastruktur, den Energieumbau und die Forschung zu investieren. Und dass sie fließen, Rechtsstaat hin oder her, ist demnach schon jetzt ausgemachte Sache.