EU-Außenministertreffen Offenes Tor für den Westbalkan?
28 Mitglieder hat die EU derzeit. Kommissionschef Juncker will bis 2025 sechs neue Staaten dazuholen. Beim Außenministertreffen in Sofia stießen die Pläne nicht nur auf Zustimmung.
Vor fünf Jahren ist mit Kroatien das letzte neue Mitglied der Europäischen Union beigetreten. Seitdem ist der Begriff "Erweiterung" aus dem aktiven Wortschatz des Brüsseler Spitzenpersonals weitgehend verschwunden.
Finanzkrise, Flüchtlingsstreit und nicht zuletzt der zunehmend EU-feindliche Kurs einiger östlicher Mitgliedsstaaten haben die Prioritäten verschoben und den Appetit auf "mehr Europa" beträchtlich gezügelt.
Geht es nach der EU-Kommission, dann ist die Zeit der Enthaltsamkeit bald vorbei. Anfang des Monats hat die Behörde erstmals ihre neue Westbalkan-Strategie präsentiert. Sechs Ländern der Region, allen voran Serbien und Montenegro, will man das Tor zum Beitritt weit aufstoßen.
EU-Erweiterungskommissar Hahn spricht sich für die Aufnahme weiterer Staaten aus dem Balkan aus.
Ist 2025 als Ziel realistisch?
Schon um das Jahr 2025, lockt Kommissionschef Jean-Claude Juncker, könnten neben Kroatien und Slowenien weitere ex-jugoslawische Republiken EU-Mitglied sein. Kein Ersatz, aber zumindest ein Trostpflaster für das absehbare Ausscheiden Großbritanniens, meint auch EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn. "Entweder wir exportieren Stabilität - oder wir importieren Instabilität", ist er überzeugt. "Aber das muss man erklären."
Unter den bald nur noch 27 EU-Mitgliedsstaaten hält sich die Begeisterung für die Brüsseler Pläne freilich in Grenzen. Beim informellen Treffen der Außenminister in Sofia wurde deutlich, dass längst nicht alle Regierungen bereit sind, bei der heiklen "Mission Westbalkan" bedingungslos mitzuziehen - besonders, was das Tempo betrifft.
Ausgerechnet der Vertreter Sloweniens, Karl Erjavec, nannte die Aufnahme der südlichen Nachbarländer bis zum Jahr 2025 "nicht realistisch". Als Grund führte er zahlreiche ungelöste Rechtsstreitigkeiten und Grenzprobleme an, etwa zwischen Serbien und dem Kosovo oder zwischen Mazedonien und Griechenland. Sie könnten für die EU-Erweiterung ein großes Problem darstellen.
Die südlichen Nachbarn Sloweniens bräuchten noch etwas Zeit, meint Außenminister Erjavec.
Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen
Bedenken äußerte auch der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian, der auf die anspruchsvollen Bedingungen verwies, die ein angehendes EU-Mitglied zu erfüllen habe. Bedingungen wie eine wirksame Korruptionsbekämpfung oder der Aufbau eines unabhängigen Justizwesens, die bei den fraglichen Kandidaten noch lange nicht umgesetzt seien.
Dass man hier bei früheren Beitrittsrunden möglicherweise zu nachsichtig war, zeigen nach Ansicht vieler Beobachter die Beispiele Rumänien oder auch Bulgarien, das aktuell die EU-Ratspräsidentschaft innehat.
EU-Erweiterungskommissar Hahn beschwichtigte und versprach, man werde all diese Einwände berücksichtigen. Es gelte der Grundsatz: Qualität vor Geschwindigkeit - und die neue Balkanstrategie sei keine Einladung, von den geltenden Konditionen Abstand zu nehmen. "Die Hausarbeiten sind zu machen - sowohl am Westbalkan als auch bei uns zu Hause", betont er. "Bekanntermaßen ist die Leidenschaft für eine Erweiterung ja nicht rasend groß."
"Wer ist Erster in Belgrad - China oder die EU?"
Hahns Landsfrau, die österreichische Außenministerin Karin Kneissl, sieht die Initiative der EU-Kommission positiv. Nach Jahren des Stillstands sorge sie endlich für neue Dynamik in einer wichtigen Region Europas.
Zu lange habe Brüssel den Balkan vernachlässigt, kritisierte die parteilose Ministerin, die der FPÖ nahesteht. Andere Player wie China oder Russland drohten, in dieses Vakuum vorzustoßen: "Wer ist Erster in Belgrad - China oder die Europäische Union?", sei die Frage. "Und genau da muss man dagegen wirken, weil es einfach unsere unmittelbare Nachbarschaft ist und die EU investiert und engagiert ist." Dies müsse noch sichtbarer werden.
Dem eher EU-kritischen ungarischen Außenminister Szijjarto ist 2025 als Beitrittsjahr für die Balkanstaaten zu spät.
Ungarn will mehr Tempo
Zu den Befürwortern einer baldigen Erweiterung zählt auch Ungarn. Dessen Chefdiplomat Peter Szijjarto zeigte sich unzufrieden mit dem Zeitplan und forderte sogar einen früheren Beitrittstermin. Mit Blick auf Serbien und Montenegro sei 2025 viel zu spät.
Die EU sollte stattdessen versuchen, die Verhandlungen bis 2022 abzuschließen, drängte der Ungar. "Wenn wir es als Europäische Union ernst damit meinen, dass wir Sieger sein wollen auf dem Feld der Strategien und wenn es um Herausforderungen auf dem westlichen Balkan geht, dann sollten wir viel schneller sein", sagte er. "Warum nicht die Serben und Montenegriner schon vor 2025 aufnehmen? Warum noch weitere sieben Jahre warten?"
Szijjartos Argument: Die Beitrittskandidaten hätten sich lange genug geduldet und nun Anspruch auf eine raschere Integration. Dies würde ihnen auch helfen, ihre Nachbarschaftsprobleme beizulegen.
Farbe bekennen im Mai
Wie ernst letztlich derartige Äußerungen von einer eher EU-kritischen Regierung zu nehmen sind, sei dahingestellt. Der Ministerrat in Sofia hat jedenfalls gezeigt: Das Thema EU-Erweiterung bleibt umstritten.
Nicht nur die Frage des Timings wird noch für einige Debatten sorgen. Ungewiss ist auch, wie sich die Staats- und Regierungschefs zur Strategie der Kommission positionieren werden. Farbe bekennen müssen sie spätestens im Mai, beim großen Westbalkan-Gipfel. Der findet ebenfalls in Sofia statt.