Interview

Kroatiens Präsident Josipovic "Die EU ist unsere große Chance"

Stand: 11.05.2013 15:08 Uhr

Am 1. Juli wird Kroatien EU-Mitglied - obwohl laut Brüssel vor allem im Kampf gegen die Korruption mehr passieren muss und die Wirtschaft schwächelt. Präsident Josipovic sieht sein Land im Gespräch mit ARD-Korrespondentin Susanne Glass dennoch auf gutem Weg.

Susanne Glass: Herr Präsident, ihr Land hat ja recht lange auf den Beitritt warten müssen. Vor diesem Hintergrund: Wie sehen sie derzeit die Stimmung in der kroatischen Bevölkerung kurz vor dem Beitritt?

Ivo Josipovic: In Kroatien sind in den vergangen zehn Jahren viele Reformen durchgeführt worden, das Land hat heute eine bessere Gesellschaft. Dies bedeutet aber nicht, dass die Gesellschaft perfekt wäre. Wir haben manchmal das Gefühl, dass unser Weg in die Europäische Union lange gedauert hat. Und das Gefühl, dass von uns vielleicht mehr gefordert wurde als von einigen anderen Staaten. Dies ist aber richtig, denn die EU hatte hinsichtlich der Beitrittsreife Kroatiens höhere Erwartungen. Wir sind zufrieden mit dem, was wir bisher geleistet haben. Es ist aber auch klar, dass die Reformen weitergehen müssen.

Zur Person

Ivo Josipovic ist seit 2010 Präsident Kroatiens. Der 56-Jährige Sozialdemokrat setzt sich vor allem für eine Erneuerung der kroatischen Gesellschaft und die Bekämpfung von Korruption, Kriminalität und Misswirtschaft in seinem Land ein.

"Keine Euphorie - sondern Realismus"

Glass: Von Euphorie ist jedenfalls nichts zu spüren. Stattdessen hört man häufig, der Beitritt sei längst überfällig...

Josipovic: Es ist gut, dass es keine Euphorie gibt. Unser Weg in die EU war ein Weg des Reifens. Unsere Bürger sind eher realistisch. Niemand erwartet, dass hier ab dem 1. Juli Milch und Honig fließen. Wir sind uns aber bewusst, dass der EU-Beitritt für uns eine wichtige Chance ist.

Glass: Es hat sich ja im Vorfeld schon etwas getan: Die Justiz scheint effizienter zu arbeiten. Aber die Justizreform ist nach wie vor nicht vollständig umgesetzt. Und die Korruption ist weiterhin ein fester Bestandteil des alltäglichen Lebens.

Josipovic: Bei der Korruption haben wir einen drastischen Wandel vollzogen. Von einer Gesellschaft, die Korruption toleriert hat, sind wir zu einer geworden, die hochsensibel ist, wenn es um Korruption geht. Bei vielen Korruptionsfällen in Kroatien führen die Spuren übrigens sehr oft in die Europäische Union. Hier erwarten wir von der EU, dass sie sich an der Untersuchung dieser Fälle beteiligt.

Was die Justiz betrifft: Es steht fest, dass viele Verfahren verschleppt werden und viel zu lange dauern. Zur Debatte steht auch die Qualität der Richter. Aber auch hier hat es große Bemühungen gegeben, um die Situation zu verbessern: So wurde etwa die Zahl der anhängigen Verfahren drastisch reduziert.

Glass: Es wurde sehr viel investiert in Bau und Konsum, aber eben nicht in die wichtigen Industriezweige, die zum Aufbau eines Landes notwendig sind. Bisher ist Kroatien eher ein großes Shopping Center und eine Tourismusregion...

Josipovic: Es handelt sich hier vor allem um eine Frage der Mentalität, um einen Widerstand gegenüber ausländischen Investoren. Wenn ein ausländischer Investor ins Land kommt, dann ist die erste Reaktion der lokalen Bevölkerung: Der will an uns verdienen. Wir müssen sicherstellen, dass Investitionen ermöglicht werden, zugleich die Rechte der Arbeitnehmer schützen und dafür sorgen, dass die Investoren regelkonform Steuern zahlen.

"Wir sind nicht Griechenland"

Glass: Wie wollen Sie denn sicherstellen, dass Kroatien nicht ein neues Griechenland der EU wird? Derzeit sind die Wirtschaftsdaten ja doch sehr schlecht.

Josipovic: Uns ist klar, dass die Wirtschaftslage nicht besonders gut ist. Aber ich möchte betonen, dass es einen wesentlichen Unterschied zwischen Griechenland und Kroatien gibt: Zum einen die Stabilität unseres Bankensektors, zum anderen sind wir ein vielversprechendes Land, wenn es um Investitionen geht.

Glass: Was bringt Kroatien der EU? Häufig genannt wird die mögliche Vermittlerrolle für die Integration des restlichen Ex-Jugoslawiens wie Bosnien oder Serbien. Was kann Kroatien hier wirklich tun?

Josipovic: Ich bin der Meinung, dass Kroatien Anregung und Motivation für die ganze Region sein kann. Was die innerpolitischen Fragen und Probleme betrifft: Die Lage in Bosnien-Herzegowina ist ziemlich komplex. Viele internationale Organisationen, die versuchen, die politische Lage in Bosnien zu lösen, sind aus mangelndem Verständnis für diese Besonderheiten gescheitert.

Serbien befindet sich gerade an einer Kreuzung. Natürlich ist es unser Wunsch, dass unsere Beziehungen mit Serbien so gut wie möglich sind. Die werden mitunter viel schlechter dargestellt, als sie sind: Wir haben mit Serbien zum Beispiel ein Abkommen über die militärische Zusammenarbeit. Und die Behörden arbeiten bei der Verbrechensbekämpfung zusammen.

Serbien steht natürlich auch vor der großen Herausforderung, seine Geschichte aufzuarbeiten. Das gleiche Problem haben wir auch. Die zweite große Herausforderung für Serbien ist die Beziehung zum Kosovo. Natürlich kann sich Kroatien nicht in die Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo einmischen. Aber wir können beide Seiten darin unterstützen, eine gute Lösung für ihre zwischenstaatlichen Beziehungen zu finden. Gleiches gilt bei ihren Bemühungen zur Annäherung an die EU.

Aus der Geschichte gelernt?

Glass: Vor Kurzem sahen wir in Zagreb 20.000 Leute bei einer Demonstration gegen die Einführung der kyrillischen Schrift in nationalistischen Uniformen mit Fahnen. Es gibt nach wie vor ein nationalistisches, rechtsorientiertes Potenzial in der Bevölkerung. Besteht die Gefahr - wenn die Hoffnungen in die EU nach dem Beitritt nicht erfüllt werden sollten - dass es zu einer Zunahme dieses Nationalismus kommt?

Josipovic: Die kroatische Gesellschaft hat bittere Erfahrungen mit dem Nationalismus gemacht und ich bin überzeugt, dass wir daraus Lehren gezogen haben. Deswegen bin ich der Meinung, dass der Nationalismus nie wieder zerstörerische oder antidemokratische Auswirkungen in der kroatischen Gesellschaft haben wird. Ich bin auch überzeugt, dass Kroatien die individuellen Menschenrechte, auch für Minderheiten im Land, schützen wird. Wir sind uns der Gefahren wohl bewusst, die der extreme Nationalismus birgt. Und wir wissen, dass es notwendig ist, gegen die Ursachen und nicht nur gegen die Folgen vorzugehen.

Glass: Es ist beachtenswert, dass es in Zeiten, in denen viele Mitgliedsländer sehr EU-kritisch sind, noch Staaten gibt, die gerne der EU beitreten und Hoffnungen damit verbinden. Kroatien zum Beispiel. Wie realistisch sehen Sie die nächsten Schritte - etwa den Beitritt zum Schengen-Raum oder der Euro-Zone?

Josipovic: In Krisenzeiten überprüft man oft das ganze Projekt der Europäischen Union. Dabei sollte man beachten, dass die Europäische Union selbst nicht die Ursache der Krise ist. Ich frage mich, wie zum Beispiel Griechenland heute ohne die Hilfe der EU aussehen würde. In Zukunft brauchen wir mehr und nicht weniger Europa. Die EU ist eine große Chance, aber kein Zauberstab, der alle Probleme wegzaubert. Was Schengen und den Euro betrifft: Wir werden der Schengen-Zone beitreten. Wir haben sowohl die notwendigen Kenntnisse als auch die Kapazitäten dafür.

Und der Euro ist sicherlich unsere Perspektive. Vielleicht ist es so, dass wir zur Zeit die formellen Kriterien für die Einführung nicht erfüllen, vor allem wegen unseres Haushaltsdefizits. Die kroatische Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, in ungefähr fünf Jahren den Euro einzuführen. Wenn dieses Ziel innerhalb bis dahin nicht erreicht werden sollte, bedeutet das nicht, dass Kroatien den Euro nicht will, sondern nur, dass es bestimmte Kriterien noch nicht erfüllen kann.

Das Interview führte Susanne Glass, ARD Wien