Haftstrafen für "Cumhuriyet"-Journalisten Kritik an der türkischen "Rachejustiz"
Mit scharfer Kritik haben Journalistenverbände und Politiker in Deutschland auf das Urteil gegen zwei regierungskritische Journalisten in der Türkei reagiert. Die mehrjährigen Haftstrafen für die "Cumhuriyet"-Redakteure bezeichnete die Grünen-Politikerin Roth als "Rachejustiz".
Die Verurteilung von zwei regierungskritischen Journalisten in der Türkei zu mehrjährigen Haftstrafen ist auf Empörung gestoßen. "Das sind Willkürurteile eines autokratischen Regimes", sagte der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall. Die Urteile dürften nicht ohne Folgen auf internationaler Ebene bleiben. "Die Schuldsprüche haben drastisch bewiesen, dass das Grundrecht der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei mit Füßen getreten wird - allen Bemühungen der türkischen Führung um Visafreiheit zum Trotz."
Auch die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) kritisierte das Urteil. "Mit diesem skandalösen Urteil hat die türkische Justiz ihre völlige Geringschätzung für die Pressefreiheit unmissverständlich klargemacht", so ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. Kritische Journalisten würden in dem Land nun erst recht dreimal überlegen, bevor sie das Risiko politisch unerwünschter Veröffentlichungen eingingen.
"Schlimmste Befürchtungen bestätigt"
Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth erklärte, die Urteile hätten "die schlimmsten Befürchtungen über den Zustand der Pressefreiheit in der Türkei bestätigt: Unter Präsident Erdogan verlässt das Land immer deutlicher den Weg von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Richtung Autokratie und Unterdrückung", so die Grünenpolitikerin. Die Urteile zeugten von "Rachejustiz". Sevim Dagdelen, Sprecherin für internationale Beziehungen der Bundestagsfraktion der Linkspartei, sagte: "Das Urteil muss Anlass für die EU und die Bundesregierung sein, ihre Politik mit der Türkei radikal zu ändern."
Mehrjährige Haftstrafen
Der Chefredakteur und der Hauptstadtbüroleiter der Zeitung "Cumhuriyet", Can Dündar und Erdem Gül, waren am Freitagabend in einem international kritisierten Verfahren zu fünf Jahren und zehn Monaten beziehungsweise fünf Jahren Haft verurteilt worden. Ein Gericht in Istanbul befand beide der Veröffentlichung geheimer Dokumente für schuldig.
Nicht schuldig befand das Gericht die beiden Journalisten in den Anklagepunkten, in denen ihnen vorgeworfen wurde, die Regierung stürzen zu wollen und Spionage betrieben zu haben. Weiterhin verantworten müssen sich Dündar und Gül für angebliche Unterstützung einer Terrororganisation. Das Gericht gab dem Antrag der Staatsanwaltschaft statt, dass dieser Punkt in einem gesonderten Prozess behandelt werden soll.
Hintergrund des Verfahrens war ein "Cumhuriyet"-Bericht über angebliche Waffenlieferungen der Türkei an Extremisten in Syrien aus dem vergangenen Jahr. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte danach angekündigt, Dündar und Gül würden "teuer dafür bezahlen", und Anzeige gegen die beiden erstattet. Sowohl Erdogan als auch der türkische Geheimdienst MIT waren als Nebenkläger zugelassen.
Schüsse vor Urteilsverkündung
Vor der Verurteilung der beiden Journalisten hatte ein Bewaffneter "Cumhuriyet"-Chef Dündar angegriffen. Er gab vor dem Gerichtsgebäude zwei Schüsse auf Dündar ab. Der Chefredakteur blieb unverletzt, ein anderer Journalist wurde leicht am Bein verletzt. Gül sagte dem Sender CNN-Türk, der Schütze habe "Verräter" gerufen, als er auf Dündar geschossen habe.
Dündar selbst machte Staatspräsident Erdogan mitverantwortlich für den Angriff. "Ich kenne den Attentäter nicht, aber ich weiß sehr genau, wer ihn ermutigt und mich zur Zielscheibe gemacht hat", sagte er. Grund für die Drohungen der vergangenen Monate und für das Attentat sei, "dass wir von der Staatsspitze dieses Landes persönlich zur Zielscheibe erklärt wurden".