Prozess gegen Journalisten in der Türkei Pressefreiheit, wie Erdogan sie sieht
In der Türkei hat der Prozess gegen zwei Journalisten begonnen, die Präsident Erdogan selbst angezeigt hatte. Gleich nach dem Prozessauftakt wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen und die Verhandlung verschoben. Die Hintergründe des Prozesses.
Von Gunnar Köhne, ARD-Studio Istanbul
Die Vorwürfe wiegen schwer: Spionage, Geheimnisverrat, ja sogar Putschversuch. Als Staatsfeinde standen Can Dündar und Erdem Gül an diesem Karfreitag zum ersten Mal vor ihrem Richter in Istanbul, der Start der Verhandlungen wurde auf den 1. April verschoben. Der Staatsanwalt hat eine lebenslange Haftstrafe gefordert.
Aktivisten kritisierten scharf, dass der Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden soll, und äußerten Zweifel an der Fairness der Verhandlung. Der Geschäftsführer von "Reporter Ohne Grenzen", Christian Mihr, nannte die Entscheidung auf Twitter "feige und unwürdig".
Can Dündar ist Chefredakteur der oppositionellen Zeitung "Cumhuriyet". Erdem Gül ist Leiter der Hauptstadt-Redaktion. Die beiden hatten in einem Artikel aufgedeckt, dass der türkische Geheimdienst mehrere Lastwagen mit Waffen nach Syrien schmuggeln wollte. Auch hatten sie über den Verdacht geschrieben, dass diese Waffen an islamistische Kämpfer geliefert werden sollten.
Präsident Recep Tayyip Erdogan persönlich hatte daraufhin Strafanzeige gegen die Redakteure gestellt. Das sei kein Journalismus, das sei Spionage, so Erdogan. Ein gutes Vierteljahr saßen die beiden Journalisten in Untersuchungshaft. Anfang März kamen sie durch eine Entscheidung des türkischen Verfassungsgerichts auf freien Fuß.
Erdogan machte dennoch klar: Er will die beiden Journalisten hinter Gittern sehen: "Dieser Fall hat mit Meinungsfreiheit nichts zu tun. Dies ist ein Spionage-Prozess. Das Verfassungsgericht mag ein solches Urteil gefällt haben. Ich kann diesem Urteil gegenüber nur schweigen. Aber ich muss es nicht akzeptieren. Das sage ich ganz offen. Ich füge mich diesem Urteil nicht und ich respektiere es auch nicht."
Wie viel Einfluss nimmt Erdogan selbst?
Die Türkei habe die freieste Presse der Welt, entgegnet Erdogan seinen Kritikern. Tatsächlich aber nimmt die Türkei bei der Pressefreiheit laut der Organisation "Reporter ohne Grenzen" inzwischen Rang 149 unter 180 Staaten ein. Kritische Journalisten werden mit Klagen überzogen, oppositionelle Zeitungen unter Vorwänden unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt.
Immer wieder scheint es Erdogan persönlich zu sein, der durch öffentliche Bemerkungen die Strafverfolgung einzelner Redaktionen oder Journalisten in Gang setzt. So hatte er Can Dündar vor dessen Verhaftung prophezeit, er werde für den Artikel über die Waffenlieferungen büßen müssen.
Auch Korrespondenten ausländischer Medien werden von Erdogan persönlich ins Visier genommen: So beschwerte er sich in einer Rede über einen Artikel des Spiegel-Korrespondenten Hasnain Kazim. Der hatte vor eineinhalb Jahren kritisch über das Grubenunglück von Soma berichtet. Kazims Akkreditierung wurde für dieses Jahr nicht verlängert. Er musste Istanbul verlassen.
Pressefreiheit von Anbeginn unter Druck
Der Istanbuler Journalist Yavuz Baydar spricht pessimistisch von einem Ende des Journalismus in der Türkei. Es sei schlicht nicht mehr möglich, frei zu arbeiten. Da könne man das Schreiben auch einstellen.
Doch Can Dündar erinnert daran, dass die Einschränkung von Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei nicht erst mit der derzeit regierenden AKP begonnen hat: "Dieser Druck ist nicht neu. Er ist so alt wie die Geschichte der Presse in der Türkei. Er reicht zurück bis zum Mord an dem Journalisten und Schriftsteller Sabahattin Ali 1948. Die Geschichte der Medien ist in der Türkei gleichzeitig die Geschichte politischer Morde, Bombenanschläge und Razzien. Wir befinden uns heute nur an einem weiteren Höhepunkt."
Erdogan droht
Noch kann man sich in der Türkei über einige wenige Zeitungen und Internetportale regierungsunabhängig informieren. Doch je größer die politischen Spannungen im Land werden, je gewalttätiger vor allem der Kurdenkonflikt ausgetragen wird, desto größer wird der Druck auf die Journalisten.
Erdogan hat nach den jüngsten Anschlägen militanter Kurden denjenigen Medien gedroht, die eine andere Kurdenpolitik fordern: "Das hat nichts mit Menschenrechten, Meinungsfreiheit oder Demokratie zu tun. Wer den Terror gegen Unschuldige auch nur indirekt unterstützt, ist selbst nichts anderes als ein Terrorist. Der schreibt doch bloß seine Meinung, heißt es dann. Das mag so sein, aber mich interessiert das nicht. Wer mit seinem Schreibstift den Terror unterstützt, der bekommt es mit mir zu tun."
Can Dündar und Erdem Gül berichteten von Waffentransporten nach Syrien.
Spione, Verräter, Terroristen. Für unabhängige Journalisten wird es in der Türkei immer ungemütlicher.