Brexit-Gipfel Die Suche nach dem Durchbruch
Die Verhandlungen zwischen EU und britischer Regierung über ein Handels- und Partnerschaftsabkommen kommen kaum vorwärts. In einer Videoschalte wollen London und Brüssel nun das weitere Vorgehen ausloten.
Nur in einem Punkt sind sich die Spitzen der EU mit Boris Johnson bisher einig: die Zeit zur Klärung der zukünftigen Partnerschaft ist extrem kurz. Ein Handelsabkommen muss bis zum 31. Oktober unterschriftsreif auf dem Tisch liegen, damit es bis zum Jahresende noch ratifiziert werden kann - von den Staats- und Regierungschefs der EU, vom europäischen und britischen Parlament sowie von den nationalen und einigen regionalen EU-Parlamenten.
Die britische Seite schließt eine Verlängerung der Handelsverhandlungen kategorisch aus und drängt auf eine Intensivierung der Gespräche in den nächsten Wochen. Bis Ende Juli soll auf Wunsch Londons eng getaktet weiterverhandelt werden, um Fortschritte zu erzielen.
Der EU-Chefunterhändler Barnier und der britische Verhandlungsführer, Frost im März.
EU bereit zu Zugeständnissen
Der Brexit-Beauftragte des EU-Parlaments, David McAllister, schließt daraus "dass die britische Seite nach wie vor ein grundsätzliches Interesse daran hat, dass wir zu einer grundsätzlichen Vereinbarung kommen". Auch für den Handelsexperten im EU-Parlament, Bernd Lange, ist die heutige Videokonferenz der EU-Spitzen mit Premier Boris Johnson ein Lackmustest für die Ernsthaftigkeit, mit der die Briten an einem Handelsabkommen mit der EU interessiert sind: "Die Highlevel-Konferenz am Montag ist eine ganz wichtige Operation. Denn in die Verhandlungen muss Leben kommen", so Lange.
Damit Leben in die Verhandlungen kommt, ist auch die EU bereit, Zugeständnisse zu machen. Bereits bei ihrem ersten Brexit-Treffen vor sechs Monaten in London lautete die EU-Botschaft von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an Johnson: "Wir werden so viel tun, wie wir können und so weit gehen, wie wir können. Aber die Wahrheit ist, dass unsere Partnerschaft nicht dieselbe sein kann und wird wie bisher."
Eines haben die Briten in den letzten vier Brexit-Verhandlungen klar gemacht: Sie sind auf keinen Fall bereit, sämtliche Standards der EU beim Umwelt-, Arbeitnehmer- und Verbraucherschutz, bei Steuern und staatlichen Beihilfen zu übernehmen, um weiterhin einen zoll- und quotenfreien Zugang zum EU-Binnenmarkt zu haben.
Ökonomische Argumente zählen kaum
Zwar hält der Brexit-Beauftragte des EU-Parlaments, McAllister, "den schrankenlosen Zugang zum größten Binnenmarkt der Welt hochinteressant für die britische Wirtschaft". Aber dieses ökonomische Argument zählt für Johnson nicht: Ihm geht es um die Wiederherstellung der britischen Souveränität durch den Brexit. Eine weitere vollständige Anerkennung der EU-Normen wäre aus seiner Sicht Verrat am Austritt aus der EU und würde ein künftiges britisches Handelsabkommen mit den USA extrem erschweren. Denn Chlorhühnchen, Hormonrinder und genmodifizierte Lebensmittel sind in der EU tabu.
"Also das ist wirklich ökonomisch aberwitzig, was da passiert", meint Handelsexperte Lange. Denn "Großbritannien exportiert rund 45 Prozent seiner Waren in die Europäische Union, während unter zehn Prozent des EU-Außenhandels nach Großbritannien gehen".
Doch ökonomische Argumente der EU zählen nicht im Verhandlungspoker mit den Briten. Und mantraähnlich immer wieder auf Einhaltung fairer Wettbewerbsbedingungen, als Voraussetzung für einen ungehinderten Zugang zum Binnenmarkt, zu bestehen, bringt die Verhandlungen keinen Millimeter weiter - diese Erkenntnis hat sich bei den Staats-und Regierungschefs der EU mittlerweile durchgesetzt.
Die Partnerschaft zwischen Großbritannien und der EU wird nicht mehr dieselbe sein, aber wie kann das Verhältnis dennoch eine Handelspartnerschaft bleiben? Das ist für Kommissionschefin von der Leyen jetzt die entscheidende Frage - auch für Angela Merkel, die ab Juli während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft eine wichtige Rolle in der entscheidenden Phase der Brexit-Verhandlungen mit Johnson spielt.