Gespräche zwischen EU und Großbritannien Ochsentour gegen den "Brexit"
Der EU steht in den Beziehungen zu Großbritannien eine Woche der Entscheidung bevor: Am Donnerstag stehen die Verhandlungen über die Sonderwünsche Londons für einen Verbleib an. Doch bis dahin muss EU-Ratspräsident Tusk die Europäer auf eine Linie bringen.
Es kommt in dieser Woche vor allem auf ihn an: auf Donald Tusk, den Ratspräsidenten der EU. Denn Tusk wird am kommenden Donnerstag die Verhandlungen maßgeblich leiten. Sein Kompromissangebot liegt auf dem Tisch. Es wurde bereits von einigen EU-Vertretern in der Luft zerrissen, doch damit es nicht schon scheitert, bevor die letzten Gespräche überhaupt begonnen haben, begibt sich Tusk ab heute auf Reisen: "Ich habe alle meine bisherigen Termine abgesagt, um mich mit verschiedenen Regierungschefs sowie dem Europaparlament zu treffen, damit wir eine Vereinbarung hinbekommen."
Jeder hat andere Interessen
Frankreichs Präsident François Hollande gehört dabei genauso zu den Gesprächspartnern wie Kanzlerin Angela Merkel, der griechische Premier Alexis Tsipras, Rumäniens Präsident Klaus Iohannis oder die Regierungschefs von Tschechien und Lettland. Fast mit jedem muss Tusk einen anderen Teil seines Vorschlags durchgehen; denn fast jeder der Genannten hat andere Interessen.
Für die Westeuropäer dürfte wichtig sein, dass Großbritannien künftig nicht zu starken Einfluss auf die Finanzpolitik der Eurozone bekommt - und schon gar nicht ein Vetorecht für Entscheidungen, die den Euro als Währung betreffen. Die Süd- und Osteuropäer dagegen stoßen sich besonders an dem Anliegen der Briten, Sozialleistungen bei Europäern kürzen zu dürfen, die noch nicht lange genug auf der Insel leben.
Knackpunkt Sozialleistungen
Nach Ansicht von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz ist das der entscheidende Knackpunkt, an dem das Ganze auf den letzten Metern noch scheitern könnte: "Man muss sich einfach mal die Frage stellen: Glaubt das Kabinett in London, dass die Regierungen anderer Länder akzeptieren werden, dass deren Bürger in Großbritannien schlechter behandelt werden als Briten im Ausland?" Und was sei beispielsweise mit dem jungen Banker aus Frankfurt, der Deutscher ist und in London arbeitet? "Muss der auch vier Jahre warten, um volle Leistungen zu bekommen, wenn er krank wird oder arbeitslos? Da haben wir noch eine Menge Dramatik vor uns.“
Dabei wurde die ursprüngliche Forderung nach einer sehr rigorosen Kürzung der Sozialleistungen für Einwanderer schon heruntergeschraubt. Im vorliegenden Entwurf ist von einer "Notbremse" die Rede, die künftig jedes Land ziehen kann, wenn es eine außergewöhnlich starke Zuwanderung von EU-Bürgern registriert.
"Cheftrommler" McAllister
Dass es nicht einfach werden wird in den letzten Gesprächen, das räumen auch die ein, die unbedingt für einen Verbleib Großbritanniens in der EU werben. Aber wir müssen kompromissbereit bleiben, mahnt etwa David McAllister. Er war bis 2013 Ministerpräsident von Niedersachsen, jetzt ist der Deutsch-Schotte CDU-Europaabgeordneter und so etwas wie der "Cheftrommler" der europäischen Christdemokraten für einen Verbleib Großbritanniens in der EU.
"Ein Austritt Großbritanniens würde für das Vereinigte Königreich erhebliche wirtschaftliche Konsequenzen haben", warnt der Politiker. "Die britische Volkswirtschaft ist zu über 50 Prozent auf den europäischen Binnenmarkt angewiesen. Es hätte aber eben auch Auswirkungen auf den Rest der EU, denn auch für uns gäbe es dann wirtschaftliche Nachteile. Deutschland und Großbritannien sind sehr eng miteinander verflochten." Zugleich weiß McAllister, dass immer mehr Deutsche genervt sind von den ständigen Sonderwünschen die London fordert.
Grüne gereizt
Ein Argument, das Reinhard Bütikofer tief einatmen lässt bevor es aus dem Chef der europäischen Grünen herausbricht: "Wir Deutsche produzieren jedes Jahr Handelsüberschüsse in einem Umfang, der eigentlich die Balance in der EU völlig kippt." Dennoch werde so getan, als spiele das überhaupt keine Rolle, obwohl das nach europäischem Rechts eine Abweichung sei, die man genau so angehen müsse wie bei den Defizitländern.
Es bleibt also spannend bis zum Gipfel am kommenden Donnerstag. Beobachter rechnen dann mit einer langen Sitzung bis zum Morgengrauen - und mit lange Gesprächen in den Tagen davor.