Belarus-Unterstützergruppen "Sonst geht den Leuten dort die Luft aus"
Mit jeder Woche sitzen mehr belarusische Oppositionelle in Haft. Umso mehr hängt für die Proteste von Unterstützerbewegungen ab. Längst ist nicht mehr nur die Diaspora in ganz Europa aktiv.
Wenn sie von Maria Kolesnikowa spricht, sprudelt es aus der Stuttgarter Musikmanagerin Christine Fischer nur so hervor: "Sie hat eine unglaubliche Begabung für die Politik. Sie hat so ein Sendungsbewusstsein, eine Wahnsinns-Ausstrahlung", sagt sie über ihre frühere Mitarbeiterin, die zur Führungsfigur der belarusischen Opposition wurde - und nun im Gefängnis sitzt.
Bis Juni war die studierte Musikpädagogin und Flötistin Kolesnikowa für die Stuttgarter Kulturszene aktiv, organisierte Veranstaltungen und betreute Social-Media-Kanäle - dann, sagt Fischer, habe sie ihre Mitarbeiterin eines Abends in der tagesschau gesehen, wie sie eine Wahlkampfrede hielt.
Maria Kolesnikowa ist eine der prominentesten Vertreterinnen der belarusischen Opposition.
An die Nachricht von Kolesnikowas Verhaftung erinnert sich ihre Kollegin Viktoriia Vitrenko aus der Musikinitiative "Interakt" lebhaft: "Ich hatte ihr noch eine Witz-Nachricht geschickt: 'Ich habe gehört, du bist entführt worden, stimmt das?'" Erst als sie keine Antwort bekam, habe sie begriffen, dass es sich nicht um eine Falschmeldung vonseiten des belarusischen Regimes handelte.
"An dem Tag wusste ich: Jetzt müssen wir echt was machen", sagt Fischer, die inzwischen einen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel gerichtet, eine Online-Petition namens "#FreeMaria" und etliche Protestschreiben deutscher Bundes- und Landespolitiker an die belarusischen Behörden organisiert hat.
Belarusen in der Schweiz protestieren vor UN-Büro
Nicht nur in Deutschland ist die Solidarität mit Kolesnikowa und der belarusischen Opposition groß: In vielen europäischen Staaten sind seit dem Sommer Unterstützerbewegungen entstanden, die sich zu Demonstrationen versammeln oder Hilfsinitiativen gründen.
Katerina Kaelin betreibt seit Jahren die Facebookgruppe "Belarus in der Schweiz", die dort eine Art Nachbarschaftshilfe zwischen Landsleuten organisiert. Seit dem Sommer hat sie sich mit anderen aus der belarusischen Diaspora zum Verein "Razam" zusammengeschlossen. Er veranstaltet Solidaritätskundgebungen in Zürich, Bern und vor dem UN-Büro in Genf und verschickt Briefe an die Regierung des Landes und seiner einzelnen Kantone. "Jetzt von Neutralität zu sprechen, wäre unanständig", meint Kaelin. "Wir rufen nur zur Friedlichkeit auf. Die Gewalt in unserem Land geht von der Regierung aus."
Belarusin führt Maidan-Kunstprojekt weiter
Auch in der Ukraine ist die Anteilnahme an den Ereignissen im Nachbarland groß. "Meines Empfindens durchlebt Belarus jetzt sehr ähnliche Vorgänge, wie sie die Ukraine nicht nur einmal, sondern gleich drei Mal auf dem Maidan erlebt hat", sagt die Komponistin Alla Zahajkewytsch, die in Kyjiw auf dem Weg zu Proben häufig Kundgebungen vor der belarusischen Botschaft beobachtet hat. "Für mich ist die Reaktion von Musikern auf Ereignisse in Politik und Gesellschaft sehr wichtig". Denn damit bekräftigten Künstler die Bedeutung ihres Metiers" - und könnten an der Bildung einer Zivilgesellschaft mitwirken.
Zahajkewytsch schrieb etwa die Musik für eine Videoinstallation der Künstlerin Zinaida Kubar, die 2014 das Lebensgefühl verschiedener Aktivistinnen auf dem Euromaidan einfing - das Projekt wird nun von der belarusischen Künstlerin Lesia Ptschelka fortgesetzt. "Belarus und die Ukraine verbindet in erster Linie die Kunst - aber vielleicht sage ich das deswegen, weil ich selbst Künstlerin bin", meint Zinaida mit einem Schmunzeln. Sie glaubt an eine "transformierende Kraft" der Kunst, die sich in der Ukraine gezeigt habe: "Wir haben eine große Tragödie durchlebt, aber die Gesellschaft hat sich gewandelt."
Hassnachrichten an Kolesnikowas Unterstützerinnen
Auch die Ukrainerin Vitrenko in Stuttgart betont, wie die Proteste zum Beispiel das Frauenbild in ihrer Heimat und auch in Belarus verändert hätten. Diesen Geist will sie mit einem Solidaritätskonzert für Kolesnikowa, das mit einem Frauenmarsch durch Stuttgart beginnt, weitertragen - auch wenn sie sich manchmal fragt, wie viel friedliche Demonstrationen und Diskussionen gegen Hass und Gewalt erreichen können.
Unterstützer der Protestbewegung in Belarus sind in Stuttgart zu einer Solidaritätskundgebung zusammengekommen.
In Deutschland bekommt sie immer wieder Hassnachrichten, die sie wegen ihres Engagements für Belarus angehen, berichtet Vitrenko: "Man fragt sich: Wie kann man in einem demokratischen Staat leben, alles haben, überall dieses Sicherheitsgefühl empfinden - und solche Nachrichten schreiben?"
Kolesnikowas frühere Arbeitgeberin Fischer sagt, sie lese solche Botschaften mittlerweile gar nicht mehr - als Kulturschaffende sei sie Gegenwind gewohnt und fürchte ihn nicht. Ihr Ziel sei, als "kleines Rädchen" in der Unterstützerbewegung die Protestbewegung in Belarus im öffentlichen Bewusstsein zu halten: "Sonst geht den Leuten dort die Luft aus".