Stichwahl in der Türkei EU und OSZE pochen auf faire Bedingungen
Am 28. Mai soll eine Stichwahl entscheiden, wer neuer Präsident in der Türkei wird. Vor dem Urnengang mahnt die EU nun Chancengleichheit an. OSZE-Wahlbeobachter Link sagte, die Regierung dürfe in den Medien nicht wieder bevorzugt werden.
Nach der Parlaments- und Präsidentschaftswahl in der Türkei am vergangenen Sonntag hat die EU für die Zukunft fairere Abstimmungsmodalitäten angemahnt. Die EU messe transparenten, für alle zugänglichen und glaubwürdigen Wahlen unter gleichen Bedingungen höchste Bedeutung bei, erklärten der Außenbeauftragte Josep Borrell und Erweiterungskommissar Oliver Varhelyi in Brüssel.
Die Vertreter der EU-Kommission verwiesen auf vorläufige Ergebnisse der Wahlbeobachtungsmissionen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europarats. Borrell und Varhelyi forderten die türkischen Behörden auf, die festgestellten Mängel zu beheben.
OSZE: Echten Pluralismus verhindert
Da am Sonntag weder der amtierende Präsident Recep Tayyip Erdogan noch sein Herausforderer Kemal Kilicdaroglu mindestens 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnten, muss eine Stichwahl am 28. Mai entscheiden, wer die nächsten fünf Jahre als Präsident in Ankara regiert.
Der Koordinator der Wahlbeobachtermissionen von OSZE und Europarat, Michael Link, mahnte bereits größere Chancengleichheit an. Es dürfe nicht der Fehler wiederholt werden, dass die Regierungsseite eindeutig in den Medien bevorzugt werde, sagte er dem "Tagesspiegel". Oppositionskandidat Kilicdaroglu habe große Probleme gehabt, in den Medien vorzukommen. "Gelang ihm das, war es meist negativ."
Zur ersten Wahlrunde sagte Link, es habe Unregelmäßigkeiten gegeben, aber weniger am Wahltag selbst, sondern während des Wahlkampfes zuvor. Er bemängelte eine Einflussnahme. Eine "Kriminalisierung einiger politischer Kräfte, einschließlich der Inhaftierung mehrerer Oppositionspolitiker", habe einen echten Pluralismus verhindert.
Zur Auszählung sagte er: Die "sehr intransparente Art und Weise, wie die oberste Wahlbehörde die Ergebnisse präsentiert", müsse dringend verbessert werden. Die staatlichen Medien hatten am Wahlabend zuerst vor allem Ergebnisse aus Hochburgen von Präsidenten Erdogan veröffentlicht, sodass der islamisch-konservative Staatschefs anfangs bei deutlich über 50 Prozent lag.
Vieles kommt auf Ogan an
Es ist das erste Mal in der Geschichte der Türkei, dass eine Stichwahl um das Präsidentenamt abgehalten wird. Die 61 Millionen Wähler im Inland sind in knapp zwei Wochen erneut dazu aufgerufen, ihren Stempel unter einem der beiden Kandidaten zu machen. Auch die 3,4 Millionen Wahlberechtigten im Ausland müssen erneut an die Urne treten.
Offizielle Prognosen, wer die besseren Chancen hat, gibt es noch keine. Entscheidend wird unter anderem sein, wie sich die Wähler vom drittplatzierten Sinan Ogan von der ultranationalistischen Ata-AllianzOgan entscheiden, der nicht in die Stichwahl zieht. Auch kommt es darauf an, wie viele Wähler Kilicdaroglu erneut mobilisieren kann.
Exilant Dündar dämpft die Hoffnung
Der im Berliner Exil lebende türkische Journalist und Oppositionelle Can Dündar sieht bei der Wahl in knapp zwei Wochen kaum Chancen für einen Sieg des Herausforderers Kilicdaroglu. Er erwarte keinen Sieg der Opposition, "da Erdogan die Mehrheit nur sehr knapp verfehlt hat und der mögliche Königsmacher Sinan Ogan der Regierung näher steht als der Opposition", sagte Dündar der Nachrichtenagentur AFP.
Zudem sei die Enttäuschung bei den Wählern, die am Sonntag für den Sozialdemokraten Kilicdaroglu gestimmt haben, so groß, "dass es schwierig werden könnte, sie zu einem erneuten Urnengang zu bewegen", sagte Dündar. Einer aktuellen Umfrage zufolge wollen zwölf Prozent der Wähler, die am Sonntag der Opposition ihre Stimme gegeben haben, am 28. Mai der Stichwahl fernbleiben.
"Die Opposition hat in der Wahlnacht eine sehr schlechte Figur gemacht", sagte Dündar AFP. In kritischen Momenten sei sie nicht präsent gewesen, etwa um die zunächst irreführenden Angaben zu den ausgezählten Stimmen zu korrigieren. Dieses Verhalten habe für einen großen Vertrauensverlust unter den Wählern gesorgt.