Abschiebungen nach Syrien Verhandeln mit Assad?
Quer durch die Bundesparteien wird gefordert, wieder nach Syrien abzuschieben. Doch dem stehen national und international gleich mehrere Hürden entgegen. Würde am Ende ein derzeit Geächteter davon profitieren?
Am 23. August sterben zwei Männer und eine Frau bei einem Anschlag in Solingen, niedergestochen vom mutmaßlichen Straftäter Issa al-H., dessen Motive islamistisch gewesen sein sollen. Der 26-Jährige sollte bereits Anfang Juni 2023 nach Bulgarien abgeschoben werden, dort hatte er zuerst den Boden der EU betreten. Seine Abschiebung scheiterte bekanntermaßen: Issa al-H. war zuvor einfach untergetaucht.
Schon vor dem Terroranschlag von Solingen hatten gleich mehrere Innenminister der Länder gefordert, schwer straffällig gewordene syrische Asylbewerber auch wieder direkt in ihr Heimatland abzuschieben. Trotz des seit 2012 geltenden Abschiebestopps nach Syrien ist die Koalition der Befürworter von Abschiebungen in das Bürgerkriegsland nach dem Anschlag noch gewachsen, und ihre Mitglieder kommen keineswegs nur aus den konservativen Parteien.
Neben den Landesinnenministern Armin Schuster (Sachsen, CDU) und Joachim Herrmann (Bayern, CSU), fordern auch Andy Grote (Hamburg, SPD), Iris Spranger (Berlin, SPD) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) die Abschiebungen nach Syrien wieder aufzunehmen. Prominenteste Stimme in diesem Chor der Befürworter ist Bundeskanzler Olaf Scholz. In seiner Regierungserklärung vom 6. Juni, also vor dem Attentat von Solingen, sagte Scholz: "Solche Straftäter gehören abgeschoben - auch wenn sie aus Syrien und Afghanistan stammen."
Vereinbar mit der Flüchtlingskonvention?
Die Forderungen des Bundeskanzlers sind rechtlich extrem schwierig umzusetzen, die juristischen Hürden für Abschiebungen nach Syrien sind hoch. Der Rechtsanwalt Scholz wird das wissen. Deutschland hat in Paragraph 60 seines Aufenthaltsgesetzes festgeschrieben: Niemand darf in ein Land abgeschoben werden, in dem ihm Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht. Eine Regelung, mit der die Bundesrepublik dem "Non-Refoulement"-Gebot der Genfer Flüchtlingskonvention folgt.
Demzufolge muss garantiert sein, dass Asylbewerber ausschließlich in sichere Heimatländer abgeschoben werden. Vereinfacht gesagt: keine sichere Lage im Heimatland, keine Abschiebung. Zuständig für die Lageeinschätzung der Sicherheit von Ländern ist in Deutschland das Auswärtige Amt. Das teilt auf tagesschau-Anfrage mit:
Nach den bisherigen Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes ist die Lage in allen Landesteilen Syriens von großer Unsicherheit geprägt. Menschenrechtslage und humanitäre Bedingungen sind defizitär.
Mit wem sprechen in Syrien?
Syrien ist derzeit ein unübersichtlicher, machtpolitischer Flickenteppich: Den Großteil des Landes kontrolliert Präsident Baschar al Assad, den Nordosten des Landes verwalten die Kurden, einige nördliche Landesteile hat die Türkei völkerrechtswidrig unter ihre Kontrolle gebracht, in der Provinz Idlib herrschen islamistische Rebellen und in der syrischen Wüste schließlich gibt es bis heute kleinere Gebiete, in denen sich die radikalislamistische Terrormiliz IS hält.
Die zahlreichen, sich stark widersprechenden Interessen der genannten politischen Player sorgen für eine instabile Sicherheitslage in ganz Syrien, siehe obige Einschätzung des Auswärtigen Amtes.
Konsequenterweise halten Fachanwälte wie Jenny Fleischer Abschiebungen selbst von schwer straffällig gewordenen Asylbewerbern wie dem mutmaßlichen Solingen-Attentäter Issa al-H. aus Deutschland nach Syrien für nach wie vor nicht zulässig:
Bei einer Rückführung nach Syrien müsste auch beachtet werden, dass Präsident Assad immer noch an der Macht ist. Es gibt immer noch willkürliche Verhaftungen, die Justiz arbeitet willkürlich, die humanitäre Lage ist katastrophal. Selbst wenn eine Person hier straffällig geworden ist, muss geschaut werden, kann diese Person in eine solche Lage zurückgeführt werden. Da gibt es hohe rechtliche Hürden.
Die Frage nach dem politischen Preis
Heiko Wimmen ist regionaler Vertreter der NGO "Crisis Group" mit Sitz in Beirut. Der Kenner der regionalen politischen Verhältnisse ist davon überzeugt, dass eventuelle Abschiebungen syrischer Asylbewerber aus Deutschland nur mit dem Assad-Regime ausgehandelt werden können. Alle anderen regionalen Machthaber in Syrien verfügten über keinerlei staatliche Strukturen, die geordnete diplomatische Verhandlungen überhaupt zuließen.
Man kann tatsächlich nur mit der derzeitigen syrischen Regierung verhandeln. Und es ist natürlich klar, wenn man das tut, ist damit ein Schritt zur Rehabilitierung dieses Regimes getan. Damit wäre eine Aufwertung, eine Anerkennung der Legitimität dieses Regimes verbunden. Das würde ganz klar gegen die langjährige deutsche Politik gegenüber Syrien gehen, ein dramatischer Kurswechsel. Man muss sich überlegen, ob es das wert ist.
Auch andere EU-Staaten überdenken ihre Position
Dem Abschiebeflug nach Afghanistan vom vergangenen Freitag waren laut Regierungssprecher Steffen Hebestreit zweimonatige Verhandlungen mit regionalen Partnern vorausgegangen. Gemeint war das Emirat Katar, das Beziehungen zu den in Afghanistan regierenden Taliban unterhält und offenbar für Deutschland vermittelt hat.
Vor allem das Auswärtige Amt lehnt direkte Verhandlungen mit den Taliban, aber ausdrücklich auch mit dem Assad-Regime in Syrien, bisher ab. Allerdings hat der bisher EU-weite, strikte Abschiebestopp nach Syrien zuletzt deutliche Risse bekommen: Österreich, die Tschechische Republik, Zypern, Dänemark, Griechenland, Italien, Malta und Polen haben bereits im Mai gefordert, die Sicherheitslage in Syrien neu zu bewerten und wieder dorthin abzuschieben. Dieser Gruppe ist Deutschland jetzt also beigetreten.
Syriens Wunschliste
CDU-Chef Friedrich Merz hat zuletzt Bundeskanzler Scholz im persönlichen Gespräch empfohlen, auf das "dänische Modell" zu setzen. Gemeint ist die extrem restriktive Flüchtlingspolitik Dänemarks, unter anderem hat das Land bestimmte Teile Syriens formal als "sicher" deklariert. Allerdings: Ihre vielen Ankündigungen, abgelehnte syrische Asylbewerber in ihr Heimatland abzuschieben, haben die Dänen bis heute nicht umgesetzt. Kein einziger Syrer wurde bisher aus Dänemark in seine alte Heimat zurückgebracht, weil Dänemark letztlich die EU-Linie beachtet und keine Beziehungen zum syrischen Regime unterhält.
Wimmen von der "Crisis Group" ist davon überzeugt, dass sich Assad etwaige Verhandlungen und Übereinkünfte über die Aufnahme von aus Deutschland abgeschobenen, straffällig gewordenen syrischen Asylbewerbern teuer bezahlen ließe.
"Es ist wirklichkeitsfern zu erwarten, dass die Syrer hier kooperieren, ohne etwas im Gegenzug zu bekommen. Möglicherweise wollen sie sogar über Sanktionserleichterungen reden. Man kann sich viele Dinge vorstellen, die die Syrer auf ihrer Wunschliste haben. Will man da wirklich hin?"