Salman Rushdie 30 Jahre unter dem Bann der Fatwa
Vor 30 Jahren rief der Iran nicht nur zum Protest gegen Salman Rushdie auf - er forderte sogar den Tod des Autors. Hat die Fatwa seitdem an Kraft verloren?
Der 14. Februar 1989: Massenproteste gegen Salman Rushdie und seine "Satanischen Verse" in Teheran. Demonstranten forderten des Tod des Autors und knüpften eine Rushdie-Puppe an einem Galgen auf, erinnert sich Professor Raoul Motika, Leiter des Deutschen Orient-Institutes in Istanbul. Er hat zur Zeit der Fatwa im Iran gelebt:
Muslime, die dem damaligen islamischen Rechtsgutachten folgten, begingen demnach keine Sünde, sondern eine verdienstvolle Tat, wenn sie Salman Rushdie töten.
Protest gegen ein unbekanntes Werk
Dabei wussten damals die wenigsten Iraner, wogegen sie protestieren sollten. Denn die "Satanischen Verse" waren im Land selbst nicht erhältlich. Die Iraner konnten sich nur auf die Einschätzung ihres obersten religiösen und politischen Führers Ajatollah Chomeini verlassen.
Sein literarischer Sprengsatz auf 574 Seiten sollte das weitere Leben von Rushdie prägen. "Ich denke, ich muss das sehr ernst nehmen", sagte der Autor in einem Interview am Tag nach der Fatwa. Eine iranische Stiftung lobte ein Kopfgeld von einer Million Britischen Pfund aus. 2016 wurde es noch einmal erhöht auf fast vier Millionen US-Dollar.
Der heute 71-jährige Rushdie tauchte viele Jahre ab, geschützt von Scotland Yard.
Auch Jahre, nachdem der Iran die Fatwa gegen Rushdie verhängt hat, gab es Proteste gegen den Autoren.
Die Fatwa als Nährstoff für die Islamische Revolution
Die Fatwa könne jedoch nicht nur im religiösen Kontext gesehen werden, meint Ali Fathollah-Nejad, Iran-Experte und Gastwissenschaftler der Brookings Institution in Doha. Sondern auch vor dem historischen Hintergrund: Der verlustreiche erste Golfkrieg war nach acht Jahren zu Ende und die Mullahs mussten den Geist der inzwischen zehn Jahre alten Islamischen Revolution wiederbeleben.
Rushdie war im Iran kein Unbekannter: Wenige Monate vor der Fatwa hatte ihn die Islamische Republik für seinen Roman "Mitternachtskinder" ausgezeichnet, in dem es um die Kolonialzeit in Indien geht.
Chomeinis Fatwa wegen der "Satanischen Verse" hatte nach Ansicht von Motika einen Hintergrund, der weit über den Iran hinausging. Chomeini habe sie genutzt, um sich als Verteidiger des Islams und der islamischen Interessen weltweit zu profilieren.
Heute hätte Fatwa wohl kaum Rückhalt
Heute ist das Buch auch für Iraner zugänglich - zumindest über ausländische Server lässt es sich herunterladen. Die Aufregung von vor 30 Jahren spiele kaum noch eine Rolle, sagt Ali Fathollah-Nejad. Und eine neue Fatwa würde wohl nicht den gleichen Rückhalt in der Bevölkerung finden, da die Gesellschaft im Iran "müde ist, diese radikal-islamistische Rhetorik zu hören und ihr zu folgen".
Nach schiitischer Rechtsauffassung dürfte die Fatwa gegen Rushdie keine Rolle mehr spielen. Mit dem Tod Chomeinis nur knapp vier Monate nach Verhängung der Fatwa wäre auch diese gegenstandslos, sagt Motika. Doch:
Das Problem ist, dass Chomeini gleichzeitig geistiger und politischer Führer des Irans war. Dadurch ist das auch zu einer Staatsaffäre geworden. Der iranische Staat und seine führenden Institutionen hatten sich hinter die damalige Rechtsauslegung gestellt. Wir haben hier also zwei Aspekte: Das religiöse Verdikt, dass jemand getötet werden darf, und den religiösen Staat, der ebenfalls gefordert hat, dass dieser Frevler stirbt. Das erlischt natürlich nicht, dafür müsste der Staat von dieser Aussage abrücken und klar betonen: Wir wollen nicht, dass Rushdie stribt.
Und deshalb kann sich Rushdie, auch 30 Jahre nach der Fatwa, seines Lebens immer noch nicht sicher sein.