Regierungskrise im Irak Wer kann das Machtvakuum füllen?
Vor kurzem hat der Block des schiitischen Klerikers Muktada al-Sadr im irakischen Parlament geschlossen seinen Rückzug erklärt. Eine Lösung der Parlamentskrise scheint nicht in Sicht. Läuft es auf Neuwahlen hinaus?
Mit seinem schwarzen Turban, dem langen Umhang und dem grauen Bart betont Muktada al-Sadr seine Herkunft als Geistlicher und Sohn eines Großayatollahs. Angeblich soll der 46-Jährige seinen Bart extra grau gefärbt haben, um mehr Würde auszustrahlen. Wie dem auch sei. Fakt ist, dass er den Irak in eine Regierungs- beziehungsweise Parlamentskrise gestürzt hat.
Fraktion von al-Sadr verließ geschlossen Parlament
Nachdem es auch in drei Versuchen nicht gelungen war, seinen Cousin Jaafar al-Sadr zum neuen Regierungschef wählen zu lassen, verließ die al-Sadr-Fraktion mit 73 Abgeordneten geschlossen das Parlament.
"Ich habe entschieden, mich aus dem politischen Prozess zurückzuziehen, weil ich nicht mit den Korrupten gemeinsame Sache machen will. Weder in dieser Welt noch im Jenseits", so al-Sadr wenige Tage später bei einem Gebet in der zentralirakischen Stadt Nadschad, einem der spirituellen Zentren des Landes und - damit dürfte die Ortswahl kein Zufall sein - Hort des schiitischen politischen Islam.
Was ich ihnen sagen möchte, ist, dass ich bei den nächsten Wahlen nicht gemeinsam mit den Korrupten teilnehmen werde. Wenn sich die Korrupten an den kommenden Wahlen beteiligen, werde ich es nicht tun. Das ist ein Gelöbnis zwischen mir und Gott."
Pro-iranischer schiitischer Block sorgte für Patt im Parlament
Al-Sadrs schiitische Bewegung war aus der Parlamentswahl im vergangenen Oktober als stärkste Kraft hervorgegangen. Während es ihm gelang, eine Koalition mit den Kurden und den arabischen Sunniten zu schmieden, sorgte ein pro-iranischer schiitischer Block für einen Patt im Parlament. Es dürften vor allem deren Mitglieder sein, die al-Sadr als "Die Korrupten" bezeichnet.
Verunsicherung bei Irakern
Dass al-Sadr den Patt aufgelöst hat, bringt zwar Bewegung in den politischen Prozess, verunsichert aber auch viel Iraker. So sagte dieser Mann aus Bagdad der Nachrichtenagentur AP: "Der Rückzug von al-Sadrs Abgeordneten hinterlässt ein großes politisches Vakuum. Das ist nicht, was wir uns als irakisches Volk wünschen. Wir wollen, dass die Dinge reibungslos verlaufen und dass es eine Regierung gibt, die sich für die Interessen der Bevölkerung einsetzt."
Was diesem Vakuum folgt, ist nicht genau absehbar. Manch einer fürchtet neue Gewaltausbrüche, wenn der politische Prozess weiterhin stocken sollte. Andere rechnen zumindest damit, dass Politik wieder vermehrt auf der Straße stattfindet. So wie dieser Mann aus Bagdad gegenüber der Nachrichtenagentur AP: "Al-Sadr hat die Angelegenheit nun in die Hände des irakischen Volkes gegeben. Das bedeutet, dass die Demonstrationen auf die Straße zurückkehren können und somit die Straße zum wichtigsten Kontrolleur des Parlaments oder der nächsten Regierung wird."
Wer könnte eine neue Regierung bilden?
Die Frage ist, wer könnte eine neue Regierung bilden? Würden die Korrupten, wie al-Sadr sie nennt, es schaffen, die Kurden oder die Sunniten, mit denen er bisher paktierte, auf ihre Seite zu ziehen?
EIne Lösung für die Parlamentskrise im Irak scheint nicht in Sicht. Läuft es auf Neuwahlen hinaus?
Ihssan al-Shemary, Professor für politische Wissenschaften an der Bagdad Universität, äußerte sich gegenüber dem französischen Nachrichtensender France 24 skeptisch: "Selbst wenn diese Kräfte eine Regierung bilden würden, die Anhänger von Muktada al-Sadr würden es nicht zulassen, dass ihr religiöser Führer durch die pro-iranische Partei gebrochen oder politisch isoliert wird."
Läuft es auf Neuwahlen hinaus?
Hinzu kommt die Befürchtung, der Iran könnte das Machtvakuum nutzen, um noch mehr an Einfluss im Nachbarland zu gewinnen. Für Tarek al Zubeidi, Professor für Politikwissenschaften, gibt es angesichts der komplizierten Ausgangslage und dessen, was al-Sadr sagt, wenig Alternativen:
"Wir müssen davon ausgehen, dass es auf Neuwahlen hinausläuft. Wenn wir uns die Rede al-Sadrs anschauen, dann sehen wir, dass er den Begriff der künftigen Wahlen dreimal verwendet hat. Daraus lässt sich schließen, dass Neuwahlen vor der Tür stehen."
Sollten sich die anderen politischen Bewegungen Neuwahlen verweigern, könnte al-Sadr seine Anhänger zu Massenprotesten auf die Straße rufen. Kommt es aber zu Neuwahlen, dürfte er selbst kaum antreten, sofern er Wort halten will. Denn, dass sich die von ihm so bezeichneten "Korrupten" ebenfalls zu Wahl stellen, wird er nicht verhindern können. So viel Macht hat auch Muktada al-Sadr im Irak - bisher jedenfalls - nicht.