Inflation und Schulden Droht Pakistan ein Sri-Lanka-Szenario?
Steigende Lebensmittelpreise, ein überschuldeter und deshalb handlungsunfähiger Staat: Diese Kombination führte in Sri Lanka zum Sturz der Regierung. Pakistan leidet unter ähnlichen Problem - die Folgen könnten noch gravierender sein.
Pakistan gehört laut den Vereinten Nationen zu den Ländern, die am stärksten unter den Auswirkungen des Ukrainekonflikts zu leiden haben. Das Land war bis zur Eskalation des russischen Angriffskrieges im Februar einer der weltweit größten Importeure von ukrainischem Getreide. Dass diese Lieferungen nun kriegsbedingt ausbleiben, wirkt sich für die rund 220 Millionen Bürgerinnen und Bürger Pakistans vor allem in galoppierenden Lebensmittelpreisen aus.
Ein Großteil der Bevölkerung gibt mindestens die Hälfte des Einkommens für Essen und Trinken aus, entsprechend empfindlich trifft die Menschen die Preisentwicklung. Allein im Juni lag die Teuerungsrate bei rund 20 Prozent. "Die Krise trifft vor allem die ärmeren Schichten", sagt Leo Wigger, Südasienexperte bei der Denkfabrik "Candid Foundation", die unter anderem deutsche Regierungsstellen berät.
Weltbank ist besorgt
Die Weltbank warnt davor, dass Pakistan vor einer Phase wirtschaftlicher Instabilität stehe. Das Land müsse immer höhere Mittel aufwenden, um essentielle Dinge wie Nahrung oder Energieträger zu importieren. In der Folge haben sich die Devisenreserven Pakistans laut Analysten seit Jahresanfang halbiert, die Kreditwürdigkeit des Landes sinkt.
Hinzu komme, dass das Interesse der USA an Pakistan nach dem Abzug der NATO aus Afghanistan merklich abgekühlt sei, erklärt Südasienexperte Leo Wigger. Auch andere klassische Verbündete wie Saudi-Arabien, die Türkei oder China agierten eher zurückhaltend. Insbesondere China, Pakistans wichtigster Verbündeter, sei zunehmend verärgert, dass milliardenschwere Infrastrukturprojekte kaum vorankämen.
Lange über die Verhältnisse gelebt
Nun soll ein 1,2 Milliarden-Euro-Kredit des Internationalen Währungsfonds (IMF) die schlimmsten Folgen abfedern. Doch es ist fraglich, ob die Maßnahme ausreichen wird. Angesicht ständiger Regierungskrisen, Jahrzehnte währender Korruption und sozialer Spannungen haben viele Beobachter ihre Zweifel. "Nachdem Pakistan jahrelang über seine Verhältnisse gelebt hat, ist die Regierung mehr denn je auf das Wohlwollen des IMF und damit einhergehender schmerzhafter Reformen angewiesen, die die sozialen Spannungen ihrerseits verschärfen könnten", glaubt Leo Wigger.
Michael Rubin vom Think Tank "American Enterprise Institute", der in der Vergangenheit vor allem konservative US-Regierungen beraten hat, warnt angesichts des pakistanischen Atomwaffenarsenals vor einem Albtraumszenario. "Auch Militäroffiziere beginnen zu wanken, wenn es darum geht, über die Runden zu kommen", schreibt der Berater in der außenpolitischen Fachzeitschrift "The National Interest". Dies könne nicht im Sicherheitsinteresse der USA sowie der großen Nachbarn China, Indien und Iran sein.
Drohen Unruhen?
"Die Gefahr vermehrter Unruhen ist groß", glaubt auch Wigger. Allerdings hält er einen Kollaps der gesellschaftlichen Strukturen für eher unwahrscheinlich. Schließlich seien Krisen in Pakistan seit Jahren Dauerzustand, und der oft prognostizierte Zusammenbruch bisher noch immer ausgeblieben.
"So aussichtlos die Lage scheint, so resilient sind die politischen Akteure und die immer noch sehr diverse pakistanische Zivilgesellschaft", glaubt Wigger. Tatsächlich sei beispielsweise die allgemeine Sicherheitslage deutlich besser als noch vor zehn Jahren.
Ein Ex-Premier nutzt die Misere
Ein weiteres politisches Erdbeben könnte die Wirtschaftskrise in Pakistan allerdings durchaus auslösen. Ex-Premierminister Imran Khan hat es zuletzt bestens verstanden, die Misere der aktuellen Regierung anzukreiden. Nur wenige Monate nach seiner Absetzung steht Khan möglicherweise vor einem politischen Comeback.
Vor zwei Wochen ist es Khans Partei gelungen, die Regionalwahlen in der Provinz Punjab zu gewinnen, die mit ihrer Bevölkerung von 110 Millionen Menschen als das wirtschaftliche und politische Zentrum Pakistans gilt. Wer auch immer den Machtkampf für sich entscheidet, steht vor einer der größten Wirtschaftskrisen, denen sich das Land in seiner 75-jährigen Geschichte gegenübersah.
Weniger besorgniserregend und dennoch ernst ist die wirtschaftliche Lage im benachbarten Bangladesch. Die Regierung in Dhaka hat nach Pakistan und Sri Lanka als drittes Land in Südasien Hilfe beim Internationalen Währungsfonds erbeten. Dem Vernehmen nach wünscht sich Bangladesch ein Rettungspaket in Höhe von 4,5 Milliarden US-Dollar.
Die ökonomischen Vorzeichen in Bangladesch sind allerdings etwas günstiger. Die Wirtschaft gehörte jahrelang zu den am schnellsten wachsenden der Welt. Den Boom verdankt Bangladesch in erster Linie seiner Bekleidungsindustrie. Das Land ist einer der größten Produzenten für Einzelhandelsketten in Europa, den USA und Südamerika.
Bangladeschs Finanzminister Mustafa Kamal unterstrich in dieser Woche, dass sein Land nur dann einem IWF-Kredit zustimme, wenn daran keine tiefgreifenden Reformen geknüpft seien.
Und dennoch haben die Folgen des Ukrainekrieges auch Bangladesch hart getroffen. Das Land hat mit hohen Importpreisen, insbesondere für Gas und Lebensmittel, zu kämpfen. Außerdem sorgt die weltweite Konsumflaute für lahmende Ausfuhren. Ein wirtschaftlicher oder gar politischer Zusammenbruch, wie er in Pakistan droht, scheint in Bangladesch unwahrscheinlicher zu sein.