Sitzung des israelischen Kriegskabinetts (Archiv)

Nahost Israel will Geisel-Verhandlungen fortsetzen

Stand: 23.05.2024 10:28 Uhr

Unter dem Eindruck anhaltender Proteste will Israels Regierung die Gespräche über die Freilassung der verbliebenen Geiseln der Hamas wieder aufnehmen. Ägypten droht jedoch mit dem Rückzug von seiner Vermittlerrolle im Gaza-Krieg.

Das israelische Kriegskabinett hat grünes Licht für die Fortsetzung der Verhandlungen über die Freilassung von Geiseln im Gazastreifen gegeben. Das gab das Büro von Regierungschef Benjamin Netanyahu bekannt, ohne weitere Angaben zu machen.

Seit Monaten wird versucht, über die Vermittlerländer Ägypten, Katar und USA eine Vereinbarung über eine neue Feuerpause im Gazastreifen und die Freilassung von Geiseln zu erreichen. Dabei steht die Regierung Netanyahu zunehmend unter Druck.

Geisel-Video bestärkt Forderungen nach Verhandlungen

Während das Kriegskabinett im Hauptquartier der Armee in Tel Aviv zu seinen Beratungen zusammenkam, fanden draußen erneut Proteste statt, wie die Times of Israel berichtete. Auch in Jerusalem kam es der Zeitung zufolge vor dem Büro von Netanyahu zu Protestaktionen, bei denen die Demonstranten die sofortige Freilassung der weiterhin im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln forderten. 

Ein zuvor veröffentlichtes Video hatte einmal mehr die Rufe nach Verhandlungen verstärkt. Das Forum der Geisel-Familien in Israel hatte Aufnahmen veröffentlicht, auf denen die Entführung von fünf israelischen Soldatinnen beim Terrorangriff der islamistischen Hamas vom 7. Oktober zu sehen ist.

In diesem Bild aus einem Video, das vom Hostage Families Forum zur Verfügung gestellt wurde, werden israelische Soldatinnen von Hamas-Mitgliedern an die Wand gestellt und gefesselt

In dem Video, das das Forum der Geisel-Familien zur Verfügung gestellt hat, ist zu sehen, dass israelische Soldatinnen von Hamas-Mitgliedern an die Wand gestellt und gefesselt werden.

Das Video zeigt die verletzten, teilweise blutüberströmten Frauen, die im Grenzgebiet zum Gazastreifen als Späherinnen der Armee im Einsatz waren, mit schwer bewaffneten Terroristen. Sie sind offensichtlich verängstigt und haben die Arme hinten dem Rücken gebunden. Die Entführer schreien sie immer wieder an und bedrohen sie.

Die Eltern der jungen Frauen hatten der Veröffentlichung des Videos in der Hoffnung zugestimmt, dass die schlimmen Bilder zur Freilassung ihrer Töchter und anderer Geiseln infolge eines Deals zwischen Israel und der islamistischen Hamas beitragen könnten.

Demonstranten fordern in Jerusalem die Freilassung der von der Hamas festgehaltenen Geiseln

Demonstranten, darunter Angehörige der von der Hamas verschleppten Geiseln, forderten vor dem Büro von Premier Netanyahu in Jerusalem erneut die Freilassung der Entführten.

"Nicht einen einzigen Moment mehr vergeuden"

Das Forum der Geisel-Familien nannte das Video "ein verdammendes Zeugnis für das Versäumnis der Nation, die Geiseln, die 229 Tage lang im Stich gelassen worden sind, nach Hause zu bringen". Die Familien der Entführten riefen die israelische Regierung dazu auf, "nicht einen einzigen Moment mehr zu vergeuden" und sofort an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Ägypten droht mit Rückzug als Vermittler

Unterdessen drohte Ägypten mit dem Rückzug von seiner Rolle als Vermittler zwischen Israel und der Hamas. Andauernde Versuche, die ägyptischen Vermittlungsbemühungen und die Rolle Ägyptens mit falschen Behauptungen in Zweifel zu ziehen, würden die Situation im Gazastreifen und in der gesamten Region nur weiter verkomplizieren, erklärte Diaa Rashwan, Chef des staatlichen ägyptischen Informationsdienstes, in einer in sozialen Medien verbreiteten Mitteilung.

Dies könne "die ägyptische Seite zu der Entscheidung veranlassen, sich vollständig aus der Vermittlungstätigkeit in dem Konflikt zurückzuziehen". Er reagierte damit auf einen CNN-Bericht, wonach der ägyptische Geheimdienst einen von Israel akzeptierten Vorschlag für eine Waffenruhe ohne Rücksprache mit den anderen Vermittlern geändert haben soll.

Ägyptens Geheimdienst soll CNN zufolge den Vorschlag zudem um weitere Forderungen der Hamas ergänzt haben. Als die Islamisten einer Vereinbarung am 6. Mai zustimmten, habe diese nicht dem Vorschlag entsprochen, von dem die anderen Vermittler dachten, dass er der Hamas zur Prüfung vorgelegt worden sei, berichtete der Sender unter Berufung auf drei mit den Beratungen vertraute, namentlich nicht genannte Personen. Der Vorfall habe für enormen Ärger gesorgt und die Gespräche in die Sackgasse geführt. Ägypten wies die Darstellungen des US-Senders kategorisch zurück. 

US-Verteidigungsminister ruft zu Einigung auf

In einem Gespräch mit seinem Amtskollegen Yoav Gallant über die Lage an den Grenzübergängen Rafah und Kerem Schalom im Süden des Gazastreifens forderte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin Israel zu einer Einigung mit Ägypten auf. Austin habe den Verbündeten dazu aufgerufen, die Gespräche mit Ägypten über eine Wiederöffnung des Grenzübergangs Rafah und den Fluss von Hilfsgütern aus Ägypten über Kerem Schalom zu einem Ergebnis zu führen, teilte das Pentagon mit.

Rafah ist nach der kürzlichen Übernahme der palästinensischen Seite durch Israels Armee geschlossen. Ägypten habe darauf bestanden, dass die Lieferungen erst wieder aufgenommen werden könnten, wenn die palästinensische Seite des Übergangs wieder unter palästinensischer Kontrolle stehe, schrieb die Times of Israel. Ägypten soll zudem Lieferungen über Kerem Schalom gestoppt haben.

Austin habe gegenüber Gallant die dringende Notwendigkeit betont, die humanitäre Hilfe für den Gazastreifen über alle verfügbaren Grenzübergänge zu verstärken, teilte das Pentagon mit.

Weißes Haus: Israels Offensive "gezielter und begrenzter"

Israels Vorstoß in Rafah hat nach Darstellung der US-Regierung bislang nicht das Ausmaß erreicht, vor dem sie ihren Verbündeten gewarnt hat. "Die bisherigen israelischen Militäroperationen in diesem Gebiet waren gezielter und begrenzter und umfassten keine größeren Militäroperationen im Zentrum dicht besiedelter städtischer Gebiete", sagte der Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, in Washington. 

Er habe bei einem Besuch in Israel von "Verfeinerungen" der Pläne für Rafah erfahren, sagte Sullivan. Diese würden es dem Land ermöglichen, "seine militärischen Ziele zu erreichen und den Schaden für die Zivilbevölkerung zu berücksichtigen".

Seit Anfang Mai führt die israelische Armee trotz internationaler Warnungen eigenen Angaben zufolge "gezielte" Einsätze am Boden und Luftangriffe in Rafah aus. Sie verortet dort die letzten verbleibenden Bataillone der Hamas.