Kämpfe in Myanmar "Militärregime vor größter Prüfung seit Jahrzehnten"
In Myanmar haben Rebellengruppen weite Teile der Grenzregion zu China unter ihre Kontrolle gebracht. Es ist der schwerste Rückschlag für die Militärjunta seit ihrer Machtübernahme im Februar 2021.
Mehr als zweieinhalb Jahre nach dem Putsch scheint die Armee in Myanmar geschwächt. Der ehemalige General und amtierende Präsident der Militärregierung, Myint Swe, warnte vor einem Zerfall des Landes.
In der Provinz Shan-Staat hat eine Allianz aus drei Rebellengruppen, die Brotherhood Alliance, die Kontrolle über Teile der Grenzregion zu China übernommen. Der Shan-Staat liegt im Nordosten Myanmars und umfasst annähernd ein Viertel der Gesamtfläche des Landes.
"Situation für Militärregime sehr bedrohlich"
Die bewaffneten ethnischen Gruppen nennen ihren koordinierten Angriff "Operation 1027", da sie ihren Angriff am 27. Oktober gestartet haben. Seitdem haben die Rebellen offenbar mehr als 100 Militärposten, Polizeistationen und Grenzübergänge eingenommen. Regierungs-, Verwaltungs- und Sicherheitskräfte seien nicht mehr vor Ort. Das bestätigt auch ein Militärsprecher. Die Kämpfe haben sich mittlerweile auf weitere Regionen des Landes ausgeweitet.
Laut Experten ist es der kritischste Moment für das Militär, seit sich dieses im Februar 2021 an die Macht geputscht hatte. "Die derzeitige Situation ist für das Militärregime in Myanmar sehr bedrohlich. Es steht wahrscheinlich vor der größten Prüfung seit vielen Jahrzehnten", sagt Richard Horsey von der International Crisis Group im ARD-Interview. Das Militär reagierte mit Luftangriffen sowie Artilleriebeschuss, aber bisher war es nicht in der Lage, das Gebiet zurückzugewinnen.
Viele Menschen auf der Flucht
Tausende Zivilisten sind wegen der Kämpfe aus der Region geflohen. Das UN-Nothilfebüro (OCHA) sagte, es seien bereits etwa 200.000 Menschen zur Flucht gezwungen worden. Die 28-jährige Phyo Phyo lebt in Laukkaing an der Grenze zu China. Sie habe versucht, vor den Kämpfen zwischen Rebellen und Militär zu fliehen, erzählt sie der ARD am Telefon. Doch die Preise für ein Moped und Benzin seien so stark gestiegen, dass sie es sich nicht mehr habe leisten können.
Phyo Phyo unterstützt die Rebellen im Kampf gegen das Militär. "Wenn wir vereint sind, können wir gewinnen, da bin ich sicher. Ich wünsche mir ein sicheres Land, in dem Menschenrechte geachtet werden und wir Frieden haben ohne Unterdrückung und Korruption."
Kämpfe auch in anderen Provinzen
Die Kämpfe haben sich mittlerweile vom Shan-Staat auf die weiter nordwestlich gelegene Region Sagaing ausgedehnt. Zudem gibt es Kämpfe im Staat Rakhaing an der Grenze zu Bangladesch und im Chin-Staat an der Grenze zu Indien.
"Der Erfolg der bewaffneten ethnischen Gruppen hat anderen Gegnern des Militär-Regimes signalisiert, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um anzugreifen, in diesem historischen Moment der Schwäche", analysiert Krisenexperte Horsey. Bemerkenswert sei die Beteiligung einer der größten bewaffneten Rebellengruppen im Rakhaing-Staat, da sie damit einen einjährigen Waffenstillstand mit der Armee gebrochen hätte.
Ziel ist Sturz der Militärregierung
Besonders ist auch, dass die gut bewaffneten Rebellen im Shan-Staat ihre Operation erstmals ausdrücklich in einen größeren Kontext gesetzt haben. Sie sprechen nicht mehr nur von ihren eigenen territorialen Interessen, die sie seit Jahrzehnten verfolgen, sondern dass ihr oberstes Ziel der Sturz der Militärregierung und eine Rückkehr zur Demokratie sei.
Damit verfolgen sie offiziell das gleiche Ziel wie die Regierung der Nationalen Einheit, der NUG, die sich kurz nach dem Putsch als Parallelregierung etabliert hat und der unter anderem Mitglieder der ehemaligen demokratisch gewählten Regierung angehören.
Der Sprecher der NUG, U Kyaw Zaw, begrüßte im Gespräch mit der ARD die Operation der Rebellen im Norden des Landes und lobte die gute Zusammenarbeit. Das Ziel der Regierung der Nationalen Einheit sei ein neuer föderaler, demokratischer Bundesstaat, in dem alle ethnischen Minderheiten berücksichtigt werden.
Die Rolle Chinas
Die drei Rebellengruppen der Brotherhood Alliance kontrollieren inzwischen mehrere Grenzübergänge zu China. Über sie läuft ein Großteil des wichtigen Handels mit dem einflussreichen Nachbarn. China ist nicht nur Myanmars größter Handelspartner, sondern auch einer der wenigen Verbündeten des Militärregimes. In der Grenzregion ist ein Milliardenprojekt geplant, als Teil von Chinas "Neuer Seidenstraße" soll hier eine Eisenbahntrasse gebaut werden. Zudem verlaufen Pipelines durch das Gebiet, die China mit Gas und Öl versorgen.
Doch in einem Punkt gibt es Spannungen zwischen dem Militär und der chinesischen Staatsführung. In der Grenzregion gibt es viele große Zentren, in denen im industriellen Maßstab Onlinebetrug betrieben wird. Gegen diese Zentren hat das Militär bisher wenig unternommen hat, da es teils selbst gut mitverdient oder wenig Macht in der Gegend hat.
Die Strippenzieher hinter den Betrugszentren sind häufig chinesische Banden, die chinesische Staatsbürger, aber auch Menschen weltweit, mit raffinierten Maschen betrügen. In den Zentren werden auch viele chinesische Staatsangehörige unter sklavenähnlichen Bedingungen zum Betrügen gezwungen.
Die Schließung dieser Betrugszentren, in denen teils zehntausende Menschen arbeiten, hat mittlerweile oberste Priorität in China. "Wenn der Preis für die Schließung einiger dieser Betrugszentren ein paar Wochen oder Monate Instabilität an ihrer Grenze ist, dann ist das ein Preis, den Peking bereit ist zu zahlen", sagt Horsey. Es ist ein Versprechen, das die Rebellen China gegenüber gemacht haben.
Rebellen nehmen eine Bezirkshauptstadt ein
Myanmar ist ein Vielvölkerstaat, es gibt dutzende ethnische Minderheiten. Einige kämpfen seit Jahrzehnten gegen die Armee und fordern Autonomie. Seit dem Putsch haben sich auch Burmesen aus den Städten dem Kampf gegen das Militär angeschlossen.
Viele flohen in die von ethnischen Aufständischen kontrollierten Gebiete, um sich dort von erfahrenen Kämpfern an der Waffe ausbilden zu lassen. Sie bilden den bewaffneten Arm der Gegenregierung NUG. Die sogenannten Volksverteidigungskräfte (PDF) wollen ein Ende der Militärherrschaft und zurück zur Demokratie, die gerade am Aufblühen war, als die Armee die gewählte Regierung um Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi stürzte. Die 78-Jährige sitzt im Gefängnis.
Die NUG und ihr bewaffneter Arm begrüßen den Erfolg der Brotherhood Alliance und sprechen von einer neuen Dynamik in ihrem Kampf. Auch wenn sie nicht so gut bewaffnet und erfahren sind wie die Shan-Aufständischen, haben sie in Gebieten in der Nähe eigene Angriffe gestartet, um die offensichtliche Schwäche des Militärs auszunutzen. Zum ersten Mal haben sie eine Bezirkshauptstadt von den Regierungstruppen eingenommen.
Derzeit ist unklar, wie weit sich die Offensive ausbreiten wird und ob die Rebellen die Gebiete langfristig halten können. Für den Moment sind die Geländegewinne für die Regimegegner zumindest ein Hoffnungsschimmer auf eine bessere Zukunft.