Israelischer Soldat in einem Tunnel

Nach Einsatz im Gazastreifen Traumavorsorge für israelische Soldaten

Stand: 13.02.2024 17:13 Uhr

Das Leid und die Zerstörung im Gazastreifen sind kaum zu ertragen, auch nicht für israelische Soldaten. Im Therapiezentrum Einot Bar sollen sie das Erlebte verarbeiten - und nach einem kurzen Aufenthalt ihren Einsatz fortsetzen.

Mit ausgebreiteten Armen und geschlossenen Augen liegt Jacob im 35 Grad warmen Wasser. Sanft zieht ihn eine Therapeutin durchs Schwimmbecken. Sie legt ihre Hand auf Stirn und Augen. Jacob soll sich fallen lassen. Keine leichte Aufgabe für den israelischen Soldaten.

Vier Monate hat er in Gaza gekämpft und ist direkt aus dem Einsatz hergekommen - gemeinsam mit seiner Einheit ins Therapiezentrum Einot Bar, nahe der Grenze in der Negev-Wüste.

Jacob öffnet die Augen: "Schwerelosigkeit, Freiheit, Frieden, Ruhe - nach vier Monaten des Wahnsinns und der Angst. Es ist das erste Mal, dass ich wieder eine Verbindung zu Menschen spüre: Liebe, Sorge. Ich fühle mich hier sicher wie ein kleines Kind, das die Mutter umarmt. Es ist das Gefühl, zu Hause zu sein."

 

Warmes Wasser für die Seele

Weil er so lange weg war, habe er wichtige Entwicklungen seiner kleinen Tochter verpasst. Von seiner Familie fühle er sich emotional abgetrennt, sagt Jacob. Sein Fallschirmjäger-Bataillon sei seine neue Familie geworden.

Vielen Soldaten gehe das so, sagt Einat Cohen. Sie leitet das Therapiezentrum. Es falle ihnen schwer, Nähe zuzulassen: "Wenn wir eine Seele, die ein Trauma erlebt hat und aus dem Gleichgewicht geraten ist, in 35 Grad warmes Wasser bringen, wirkt das ausgleichend." Die Soldaten kämen nur wenige Stunden zu den Therapeuten, oft müssten sie schnell nach Gaza zurück.

"Hier beginnen wir einen Prozess, der biologisch, energetisch und seelisch ist", erklärt Cohen. "Einen Prozess, der ein Trauma, eine erlebte Tragödie aus dem Körper löst. Wenn sie im warmen Wasser sind, beginnt es, sich zu lösen. Manchmal weinen sie oder erschrecken sich."

Ein Soldat macht Wassertherapie in Einot Bar

Therapeutin Einat Cohen bei der Wassertherapie mit einem israelischen Soldaten.

Eine Notaufnahme für Traumata

An einem Klavier sitzen einige Soldaten des Fallschirmjäger-Bataillons zusammen. Sie wollen das Erlebte gemeinsam verarbeiten und können Entspannungsübungen, eine Gesprächs- und Wassertherapie machen. Es geht darum, traumatische Erlebnisse frühzeitig zu behandeln, bevor sie später zur posttraumatischen Belastungsstörung werden. 

Ein neuer Ansatz, sagt Therapeutin Cohen. Sie glaubt daran, Krisen sofort zu begegnen, bevor sie sich verfestigen. "Wir sind so etwas wie eine Notaufnahme für Traumata geworden, seit dem 7. Oktober. Wir haben noch nie Menschen mit solchen Symptomen erlebt, in so einem Schockzustand. So hat es das hier noch nie gegeben."

Zuerst seien Überlebende aus den Kibbuzim gekommen. Dann Angehörige der Geiseln, nun Soldaten. Zur Therapie ist auch Eyal da, er ist Unteroffizier und Reservist. Er half nach dem 7. Oktober dabei, Tote aus dem Kibbuz Kfar Aza zu bergen.

"Wir haben die Toten rausgetragen und Munition eingesammelt, die die Terroristen zurückgelassen haben. Blindgänger. Das war sehr schwierig. Nichts, auf das ich je vorbereitet wurde. Auch in Gaza ist der Verwesungsgeruch fürchterlich. Ich war neulich neben einem Feld und da hat es ähnlich gerochen. Da kam die ganze Erinnerung hoch."

"Der Kopf siegt über den Körper"

Im Garten, von dem man in die Negev-Wüste Richtung Gaza blickt, macht eine Gruppe Soldaten in Badehose Aufwärmübungen. Sie treten auf der Stelle, schieben die Arme vor und zurück. "Oh mein Gott. Der Kopf siegt über den Körper", sagt Simon. Gleich steigt der Soldat in eine Badewanne gefüllt mit eiskaltem Wasser und Eiswürfeln.

Er habe Konzentrationsschwierigkeiten. Im Kopf sei er immer noch in Gaza: "Dort ist es wie im Film. Alles kaputt, nichts steht mehr. Die Häuser an denen wir vorbeifahren, jeden Tag fehlt eins. Man sieht keine Menschen, nur zurückgelassene Tiere. Eines nachts sind wir in ein Haus. Da stand ein Esel im Dunkeln. Er wollte nichts fressen, er hatte solche Angst, es war so traurig."

Ariel Goldstein

Das Eisbaden ist Teil der Therapie in Einot Bar.

Er habe verrückte Träume. Eigentlich funktioniere er nur noch in einer Art Automatikmodus, sagt Simon und steigt in die Eiswanne. Ein Therapeut erklärt dem Soldaten, wie er atmen muss.

Simon schließt die Augen und taucht unter. Durch den Kälteschock habe er loslassen können, sagt er. Dann wird er plötzlich wieder ganz cool. Es sei einfacher als es aussehe. Es sei ok. Immerhin habe er nicht daran denken müssen, dass er schon bald wieder zurück in den Gaza-Streifen muss.

Bettina Meier, ARD Tel Aviv, tagesschau, 13.02.2024 09:17 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 13. Februar 2024 um 05:21 Uhr.