Israel treibt Justizreform voran "Diese Regierung hat jede Hemmung verloren"
Auch nach Monaten reißt der Protest in Israel nicht ab. Am Montagabend wurde die umstrittene Justizreform in erster Lesung gebilligt - zweite und dritte sollen zügig folgen. Oppositionsführer Lapid sieht den Rechtsstaat in Gefahr.
Einen Vorgeschmack der erwarteten Proteste gab es noch am Abend während der Debatte: Sicherheitskräfte gingen gegen Demonstranten vor, die die Parlamentsdebatte stören wollten.
Doch mitten in der Nacht nahm die Reform der sogenannten Angemessenheitsklausel die Hürde der ersten Lesung. Die Möglichkeiten des Obersten Gerichtshofes, Regierungsentscheidungen zurückzuweisen sollen deutlich eingeschränkt werden. Die Regierungskoalition aus rechten, national- und ultrareligiösen Parteien hält den Einfluss der Justiz in Israel für zu groß.
Opposition: Regierung will "ohne Kontrolle handeln"
Nicht nur Oppositionsführer Yair Lapid sieht darin eine Aufweichung der Gewaltenteilung und den Rechtsstaat in Gefahr. "Diese Regierung hat jede Hemmung verloren", sagt er. "Sie will sicherstellen, dass sie völlig ungehemmt und ohne Kontrolle handeln kann." Die Absetzung der Angemessenheitsklausel besage seiner Ansicht nach, dass für alle Bürger Gesetze gelten, aber nicht für sie. "Wenn sie das Gesetz verletzen, wird es nicht möglich sein, gegen sie zu klagen. Das Gericht wird nichts tun können."
Der Oberste Gerichtshof hatte zuletzt im Januar die Ernennung von Arje Deri zum Innen- und Gesundheitsminister zurückgewiesen. Er war wegen Steuerhinterziehung erneut verurteilt worden und einer Haftstrafe nur entgangen, weil er seinen Richtern zugesagt hatte, sich aus dem politischen Leben zurückzuziehen. Dass er trotzdem zum Minister ernannt worden war, hielt der Oberste Gerichtshof für unangemessen.
Smotrich: Opposition will "Regierung zu Fall bringen"
Regierungspolitiker wie Finanzminister Bezalel Smotrich wiederum halten die gewählte Mehrheit auch in Fällen wie diesen für maßgebend. "Die breite Mehrheit ist sich darin einig, dass das Gesetz unbedingt notwendig ist", meint er. Denn dadurch könne die gewählte Regierung ihre Politik gesetzlich durchsetzen und "verhindert werden, dass sich ein Fall, in dem das Oberste Gericht die Abschiebung der Familie eines Terroristen verhindert, noch einmal zutragen kann".
"Wir alle wissen, dass die Opposition nicht wirklich daran interessiert ist, eine Einigung zu erlangen", so Smotrich weiter. "Sie wollen Zeit schinden, sie wollen die Reform schwächen und letztendlich die bestehende Regierung zu Fall bringen."
Israelische Demonstranten mit israelischen Fahnen blockieren die Autobahn von Tel Aviv nach Haifa in der Nähe von Beit Yanai, Israel, als Protestaktion gegen die Pläne der Regierung das Justizsystem zu ändern.
Druck auf Regierung lässt nicht nach
Voraussichtlich in der nächsten Woche sollen bereits die zweite und dritte Lesung stattfinden. Die Regierung will diesen Teil der Justizreform noch vor der Sommerpause durchs Parlament bringen. Doch bis dahin wird der Druck hoch bleiben: Die USA haben Israel aufgefordert, die Gewaltenteilung zu schützen. Israels Staatpräsident brachte am Montag einen Bürgerdialog zur Justizreform auf den Weg.
Als Reaktion gingen am Morgen Tausende Israelis auf die Straßen, um gegen das Vorhaben zu protestieren. Unter anderem in Jerusalem und Tel Aviv gab es Großveranstaltungen. Autobahnen wurden blockiert, der internationale Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv soll lahmgelegt werden.
Wird die Reform doch noch abgeschwächt?
Premier Benjamin Netanyahu stellte derweil in Aussicht, es könnte noch Änderungen am Gesetzestext geben. "Eine Korrektur der Angemessenheitsklausel, stellt nicht das Ende der Demokratie dar, sondern die Stärkung der Demokratie", sagt er. "Auch nach der Korrektur werden die Unabhängigkeit der Gerichte und die Rechte der Bürger Israels in keiner Weise verletzt. Das Gericht wird weiterhin die Ernennungen und die Gesetzestreue der Regierung überwachen."
Doch Teile der Regierungskoalition wehren sich gegen eine weitere Aufweichung der Reformpläne und drohten mit einem Ende der Regierung. Der Ausgang ist zur Zeit offen.