Krieg im Nahen Osten Israelischer Militäreinsatz in Klinik im Gazastreifen
Israelische Soldaten haben nach palästinensischen Angaben ein Krankenhaus im Norden des Gazastreifens räumen lassen. Ein Teil der Klinik stehe in Flammen. Medien berichten unterdessen über eine bislang geheime Order der israelischen Armee.
Bei einer Razzia im Gazastreifen haben israelische Soldaten nach Angaben palästinensischer Behörden ein Krankenhaus räumen lassen. Insgesamt 350 Personen mussten die Kamal-Adwan-Klinik im nördlichen Teil des Küstengebiets verlassen, wie der Direktor der von der Terrororganisation Hamas kontrollierten palästinensischen Gesundheitsbehörde, Munir Al-Bursch, erklärte.
Bei ihnen habe es sich um 185 Mitglieder des medizinischen Personals und 75 Patienten sowie deren Angehörige gehandelt. Sie seien in eine ehemalige Schule in der Nähe geschickt worden, die als Flüchtlingsunterkunft diene. Ein Teil der Klinik in Beit Lahija stehe in Flammen, der Kontakt zu den dort noch befindlichen Mitarbeitern sei abgebrochen.
Krankenhaus war laut Israel Quartier der Hamas
Das israelische Militär teilte mit, ein kleiner Brand in einem leeren Gebäude auf dem Klinikgelände sei unter Kontrolle. Dem Militär sei derzeit nicht bekannt, dass das Feuer von den eigenen Soldaten gelegt worden sei. Den Einsatz begründete die Armee damit, dass Kämpfer der radikal-islamischen Hamas das Krankenhaus zu einem ihrer Hauptquartiere umfunktioniert hätten. Das Militär habe sich bemüht, Opfer unter den Zivilisten zu vermeiden und deshalb die "sichere Evakuierung unterstützt".
Nach Angaben aus palästinensischen Medizinerkreisen ist das Kamal-Adwan-Krankenhaus bereits wiederholt vom israelischen Militär angegriffen worden. Dasselbe gelte für zwei weitere Kliniken im Norden des Gazastreifens, wo Israel seine Offensive seit Wochen vorantreibe.
New York Times berichtet von geheimem Militärbefehl
Unterdessen berichtet die New York Times von einem bisher nicht öffentlich gewordenen Befehl, den die Führung des israelischen Militärs am Mittag des 7. Oktober 2023, nur wenige Stunden nach dem Terrorangriff der Hamas auf das Land, an die Streitkräfte herausgegeben habe.
Demnach hätten zum ersten Mal auch israelische Offiziere mittlerer Dienstgrade die Erlaubnis erhalten, nicht nur Kommandeure, Waffenlager und Raketenwerfer der Hamas anzugreifen, sondern auch unterrangige Mitglieder der Terrororganisation.
Mit jedem Einsatz, so der Befehl, seien die Offiziere zudem autorisiert, den Tod von bis zu 20 Zivilisten in Kauf zu nehmen. Das bedeutet zum Beispiel, dass das Militär auf einfache Kämpfer zielen kann, während diese zu Hause von Verwandten und Nachbarn umgeben sind, anstatt nur, wenn sie sich allein draußen aufhalten, so die Zeitung.
Militär soll Obergrenze für zivile Opfer erhöht haben
Laut der New York Times sei ein solcher Befehl beispiellos in der israelischen Militärgeschichte. In früheren Auseinandersetzungen mit der Hamas seien Angriffe nur genehmigt worden, wenn dabei keine oder nur wenige Zivilisten zu Schaden kommen.
Die Zeitung berichtet, dass das Militär nicht nur die Zahl der zivilen Opfer, die bei einem einzigen Angriff zu beklagen sind, erhöht hat, sondern auch die Obergrenze für die Gesamtzahl der Zivilisten, die durch die Angriffe pro Tag gefährdet werden können, aufgehoben hat. In einigen Fällen habe das Oberkommando des Militärs Angriffe genehmigt, von denen es wusste, dass sie bis zu 100 Zivilisten in Gefahr bringen würden, so die Zeitung.
Das Militär habe sich "oft auf ein grobes statistisches Modell gestützt, um das Risiko von Schäden für die Zivilbevölkerung einzuschätzen", wobei es sich hauptsächlich auf Schätzungen der Handynutzung gestützt habe und nicht auf die umfassende Überwachung eines einzelnen Gebäudes.
Noch keine Stellungnahme von Israels Armee
Der Bericht stützt sich auf Interviews mit mehr als 100 Soldaten und Beamten, darunter mehr als 25 Personen, die an der Auswahl und Überprüfung von Zielen beteiligt waren. Das israelische Militär hat laut New York Times noch nicht auf eine Bitte um Stellungnahme reagiert. Das Militär habe indes eingeräumt, dass sich die Einsatzregeln nach dem 7. Oktober geändert haben, doch hätten seine Streitkräfte "konsequent Mittel und Methoden eingesetzt, die sich an die gesetzlichen Vorschriften halten".
Bei dem von der Hamas geführten Angriff auf Gemeinden im Gazastreifen am 7. Oktober 2023 wurden nach israelischen Angaben 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 als Geiseln nach Gaza verschleppt. Israels Boden- und Luftoffensive hat nach Angaben des Gaza-Gesundheitsministeriums mehr als 45.000 Menschen getötet und mehr als 107.000 verwundet, die meisten der 2,3 Millionen Einwohner vertrieben und einen Großteil der Küstenenklave verwüstet.