Nach dem Krieg in Nahost Was wird aus dem Gazastreifen?
Während die Zweistaatenlösung international so gut wie Konsens ist, wird sie von der Hamas und der derzeitigen Regierung Israels abgelehnt. Und so führen die USA schon Planspiele für die Zeit nach Premier Netanyahu.
Im Gazastreifen gibt es weiter heftige Kämpfe. Nicht nur im Süden, sondern auch wieder im Norden. Sie zeigen, dass der Krieg, der am 7. Oktober mit dem Angriff der Hamas und weiterer Terrororganisationen begann, so bald noch nicht zu Ende ist.
Es gibt Berichte, dass seit Kriegsbeginn 20 bis 30 Prozent der bewaffneten Kämpfer im Gazastreifen getötet wurden. Die USA schätzen laut einem Bericht des "Wall Street Journal", dass die Hamas genug Munition hat, um den Krieg noch monatelang weiterzuführen.
Israels politische und militärische Führung wird nicht müde zu betonen, dass der Krieg so lange weitergeht, bis die Ziele erreicht sind: Sicherheit für die Bürger Israels, die Zerschlagung der Hamas und die Befreiung der Geiseln. Und auch Generalstabschef Herzi Halvi rechnet mit einem längeren Krieg. Vor kurzem sagte er, es gebe "keine Abkürzung" bei der Zerschlagung der Hamas.
Demonstranten fordern Ende der Kämpfe
Doch es gibt die in Israel, die wollen, dass die Kampfhandlungen im Gazastreifen eingestellt werden. Fast jeden Tag kommt es zu Protesten in Tel Aviv, in Jerusalem und in anderen Städten, sogar vor dem Haus von Benjamin Netanyahu, Israels Premierminister.
Die Demonstranten denken dabei nicht so sehr an eine Zukunft für den Gazastreifen und die Menschen dort, sie haben meist nicht das Leid der Zivilbevölkerung mit den vielen Toten und Verletzten seit Kriegsausbruch im Sinn: Sie wollen, dass endlich die Geiseln freikommen, die noch im Gazastreifen sind - nun schon seit mehr als 100 Tagen.
"Niemand will über Friedenslösungen nachdenken"
Israel ist seit dem 7. Oktober ein traumatisiertes Land. Nirgends wird das deutlicher als bei den Protesten der Angehörigen der Geiseln und der Toten. Auch mit Blick auf die Menschen, die derzeit in Israel auf die Straße gehen, fand Izchak Herzog, Israels Staatspräsident, auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos klare Worte, als er die Stimmung beschrieb, die seiner Meinung nach gerade in Israel herrscht.
"Wenn man einen durchschnittlichen Israeli nach seinem oder ihrem Befinden fragt, dann will gerade niemand über Friedenslösungen nachdenken", so Herzog. "Denn jeder will wissen, ob uns in Zukunft echte Sicherheit versprochen werden kann. Jeder Israeli will sicher sein, dass er nicht auf die gleiche Art vom Norden, Süden oder Osten angegriffen wird. Aber die Wahrheit ist: Wir kämpfen einen Krieg für das gesamte Universum, für die freie Welt."
Doch "die freie Welt", vor allem die USA, aber auch Deutschland und weitere europäische Länder drängen auf eine Perspektive für die Zeit nach dem Krieg. Und bei diesen Überlegungen hat das Thema der Zweistaatenlösung derzeit wieder Konjunktur. Antonio Guterres, der UN-Generalsekretär, hat gesagt, was dafür seiner Meinung nach die Voraussetzung ist: Das Recht der Palästinenser, ihren eigenen Staat aufzubauen, müsse von allen anerkannt werden. Alles Andere würde den Konflikt im Nahen Osten verlängern und sei eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit weltweit.
Eine Perspektive auf einen palästinensischen Staat fordern die USA, davon spricht auch die Bundesregierung. Ebenso gibt es in Israel und den palästinensischen Gebieten Menschen, die gerade jetzt darüber nachdenken wollen, wie das Zusammenleben in der Region nach dem Krieg aussehen könnte. Aber sie sind eine Minderheit.
Hamas und Israels Regierung gegen Zweistaatenlösung
Und so dominiert dort, wo eine Zweistaatenlösung eigentlich umgesetzt werden müsste, die totale Ablehnung. Bei der Hamas, die bislang den Gazastreifen kontrolliert hat, ist das verbunden mit der Ablehnung des Staates Israel. Chalid Maschal, einer der politischen Führer der Terrororganisation, der im Ausland lebt, hat Israel soeben in einem Podcast erneut das Existenzrecht abgesprochen. Er forderte ein Palästina vom Mittelmeer bis zum Jordan. Eine Zweistaatenlösung lehnt er dementsprechend ab.
Das hat er mit Netanyahu gemeinsam, der es allerdings andersherum sieht: Für ihn, das hat er in den vergangenen Tagen immer wieder betont, ist kein Platz für einen palästinensischen Staat im Nahen Osten - auch nicht im Gazastreifen.
Netanyahus rechtsextreme Koalitionspartner wollen nicht nur einen palästinensischen Staat verhindern, sie haben auch schon konkrete Pläne für den Gazastreifen nach dem Krieg. Finanzminister Bezalel Smotrich hat sich für neue, jüdische Siedlungen dort ausgesprochen. Itamar Ben-Gvir, Minister für Nationale Sicherheit, will gar die Abwanderung der palästinensischen Bevölkerung forcieren. "Freiwillige Migration" nennt er das.
Angebot Saudi-Arabiens
Während in Israel und den palästinensischen Gebieten Ablehnung oder zumindest große Skepsis mit Blick auf die Zweistaatenlösung vorherrschen, scheint sie international fast zu einer Art Konsens geworden sein.
Das sieht man unter anderem auch an Äußerungen aus der arabischen Welt: Faisal bin Farhan Al Saud, der Außenminister von Saudi-Arabien, sprach sich beim Weltwirtschaftsforum in Davos für einen Prozess aus, der die Palästinensische Autonomiebehörde stärkt, die einmal der Anfang für einen Palästinensischen Staat sein sollte. Wenn es so weitergehe, sagte er, gäbe es weiter das Leid im Gazastreifen und einen Kreislauf der Eskalation.
Auf dem Tisch liegt nun ein Angebot. Dazu gehören ein Ende der Kämpfe im Gazastreifen, eine Freilassung der Geiseln und von palästinensischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen. Es geht um Normalisierungsabkommen für Israel mit Staaten wie Saudi-Arabien - und das alles im Tausch gegen eine Zweistaatenlösung. Weil Israels Regierung dies ablehnt, gibt es bei der US-Regierung in Washington offenbar schon Planspiele für eine Zeit nach Netanyahu, für den Fall, dass seine Regierung am Krieg zerbricht.
Kaum Vertrauen in Autonomiebehörde
Doch die Frage ist auch, wer mögliche Verhandlungen auf palästinensischer Seite überhaupt führen könnte: Die Autonomiebehörde unter ihrem 88-jährigen Präsidenten Mahmoud Abbas hat minimale Zustimmungswerte in der eigenen Bevölkerung und gilt als so marode und korrupt, dass US-Außenminister Antony Blinken vor kurzem erklärte, sie müsse runderneuert werden.
Trotzdem sprach er sich in Davos für die große Lösung in Nahost für die Zeit nach dem Krieg aus: Ohne einen palästinensischen Staat gebe es keine wirkliche Integration Israels in den Nahen Osten und keine Sicherheit, sagte der US-Außenminister.
Doch wie das angesichts des großen Widerstands dort, wo eine Zweistaatenlösung umgesetzt werden müsste, zustande kommen soll, bleibt unklar. Auch US-Präsident Joe Biden blieb in dieser Frage kryptisch. Er sagte gerade erst, es gebe "mehrere Vorschläge für eine Zweistaatenlösung". Was immer das bedeutet.