Israelischer Aktivist Hoffen auf Frieden durch Krieg
Nir Cohen ist Reservist der israelischen Armee, kämpfte bis vor Kurzem im Gaza-Krieg und ist sich sicher: Der Krieg kann den Konflikt nicht lösen. Er will über Wege zum Frieden sprechen - gerade jetzt.
Als Nir Avishai Cohen nach fast drei Monaten als Major der Reserve in der Israelischen Armee aus dem Nahost-Krieg zurückgekehrte, schrieb er auf Instagram eine Nachricht, die manchen Menschen nicht gefiel: "Ich bete, dass dieser schreckliche Krieg endet", stand da. Und: "Selbst die stärkste Armee der Welt kann das Land nicht so schützen wie Frieden."
Danach musste er viele Beschimpfungen und auch Morddrohungen ertragen. Seitdem ist er etwas vorsichtiger geworden, wenn er auf die Straße geht: "Ich achte mehr auf meine Umgebung, wenn ich auf der Straße bin. Oft habe ich eine Waffe dabei, denn ich habe Angst, dass mich jemand angreift", erzählt er. Gleichzeitig hört er nicht auf zu posten:
Ich sage, was ich sagen muss. Mir ist bewusst, dass ich einem gewissen Risiko ausgesetzt bin, aber ich mache, was ich machen muss.
"Keine Wahl nach dem 7. Oktober"
Es ist nicht so, dass Cohen erst seit dem Nahost-Krieg glaubt, dass es endlich Frieden zwischen Israelis und Palästinensern braucht. Vor etwas mehr als einem Jahr hat er ein Buch veröffentlicht mit dem provokanten Titel "Love Israel, Support Palestine" ("Liebe Israel, unterstütze Palästina"). Anderseits: Er ist auch kein Pazifist.
Als er zum Dienst gerufen wurde, gab es für Ihn keinen Zweifel, dass er in diesen Krieg zieht: "Nach dem furchtbaren Massaker der Hamas vom 7. Oktober hatte Israel keine andere Wahl, als diesen Krieg zu beginnen." Gleichzeitig glaubt er, dass der Krieg im Vorfeld vermeidbar war: "Wir hätten vor dem 7. Oktober eine Lösung mit der palästinensischen Autonomiebehörde finden können. Danach hatten wir keine Wahl." Aber nach drei Monaten sollte dieser Krieg zu Ende gehen. "Jeden Tag denke ich, dass der Krieg weitergeht, dass er uns nicht weiterbringt und dass er zu viel Blut auf beiden Seiten kostet."
"Soldaten verteidigen Netanyahus politische Karriere"
Es ist gut möglich, dass er als Kommandeur in seiner Infanterieeinheit schon bald wieder einberufen wird. Aber bis dahin geht Cohen auf die Straße und hilft mit, den Protest gegen den Krieg zu organisieren.
Dass er noch zu einer Minderheit gehört, weiß der 43-Jährige gut. Aber, so sagt er, immer mehr Israelis wollten, dass der Krieg aufhört und dass Premierminister Benjamin Netanyahu endlich die Verantwortung übernimmt: "Netanyahu weiß, dass, wenn dieser Krieg zu Ende ist, auch seine politische Karriere endet. Aus seiner Sicht kann dieser Krieg also für immer andauern."
Immer mehr Menschen verstünden, dass der Krieg in diesen Tagen zu einem politischen geworden ist. Einem, bei dem es um das Überleben von Netanyahu und nicht um Israels Verteidigung oder die Freilassung von Geiseln gehe. "Die Soldaten, die gerade in Gaza kämpfen, kämpfen nicht für die Verteidigung Israels, sie verteidigen Netanyahus politische Karriere."
"Palästinenser sind meine Nachbarn"
Vor einigen Tagen gingen Cohen und seine Mitstreiter in Tel Aviv auf die Straßen, weitere Demonstrationen sind geplant. Hoffnung setzt er vor allem in den Druck von außen - aus den USA und auch aus Deutschland - über eine Lösung für die Zeit danach nachzudenken. "Natürlich ist Krieg nicht die Lösung. Die dauerhafte Lösung ist ein Friedensabkommen zwischen uns und den Palästinensern." Dabei spricht er ganz klar von der palästinensischen Autonomiebehörde und nicht von der Hamas.
"Die Palästinenser sind nicht mein Feind, sie sind meine Nachbarn." Für Cohen ist klar, dass der einzige Weg die Zweistaatenlösung ist. "Das klingt verrückt, aber ich hoffe wirklich, dass dieser Krieg zum Frieden zwischen uns und den Palästinensern führt."
Cohen fordert neue Regierung
Netanyahu hat in den letzten Tagen immer wieder klargemacht, dass es das mit ihm nicht geben wird. Deshalb, so sagt es Cohen, braucht Israel eine neue Regierung. Und natürlich muss auch die Hamas im Gazastreifen gestürzt werden. Denn auch mit ihr wird es keinen Frieden geben. Für beides will er weiterkämpfen. Auf den Straßen Israels - und, wenn es sein muss, auch im Gazastreifen.