Dramatische Lage in Südgaza Massenflucht, große Not und eine Luftbrücke
Etwa eine Million Menschen sind nach UN-Angaben vom Norden des Gazastreifens in den Süden geflohen. Die Hilfswerke vor Ort schlagen Alarm: Es mangele an Essen, Wasser und an Unterkünften. Die EU will per Luftbrücke Hilfsgüter liefern.
Vor einer erwarteten Bodenoffensive Israels verschlechtert sich die humanitäre Lage im Gazastreifen weiter. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind inzwischen etwa eine Million Menschen vom nördlichen Gazastreifen in den Süden geflohen. Das UN-Nothilfebüro (OCHA) teilte mit, dass Wasser, Nahrung und Treibstoff zu Neige gingen.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnte, es drohe eine "echte Katastrophe" im Gazastreifen. Das UN-Hilfswerk für Palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) teilte mit, man sehe sich nicht mehr in der Lage, die zunehmende Anzahl von Flüchtlingen im Süden des Gazastreifens ausreichend zu versorgen. Es mangele an Platz in den Unterkünften, Wasser und psychologischer Unterstützung. OCHA zufolge verfügten die Krankenhäuser des palästinensischen Küstenstreifens noch über Treibstoffreserven für 24 Stunden, um Notfallgeneratoren zu betreiben.
Diese Hunderttausenden Flüchtlinge seien im Süden des Gazastreifens nun obdachlos, berichtet ARD-Korrespondent Philip Kuntschner aus Tel Aviv. "Dort fehlt es derzeit einfach an allem: Es fehlt an Essen, es fehlt natürlich an Unterkünften", sagte er.
EU plant Luftbrücke
Daher hoffen Helfer auf eine Öffnung des ägyptischen Grenzübergangs Rafah für humanitäre Lieferungen. Es wäre der einzige Weg, um Hilfe in den von Israel abgeriegelten Küstenstreifen zu bringen. Rund 2.000 Tonnen Güter stehen dafür nach Angaben des Ägyptischen Roten Halbmonds bereit. Ursprünglich sollte der Übergang am Morgen geöffnet werden, blieb bislang aber geschlossen. Zahlreiche Palästinenser mit einer doppelten Staatsbürgerschaft warteten am Grenzübergang auf eine mögliche Ausreise.
Palästinenser warten im Gazastreifen an dem Grenzübergang Rafah zu Ägypten. Ägypten selbst forderte die Öffnung des Grenzübergangs, um Hilfslieferungen in den Gazastreifen und die Ausreise von Ausländern aus dem Palästinensergebiet zu ermöglichen.
Die EU-Kommission kündigte unterdessen an, eine Luftbrücke für die Zivilbevölkerung in Gaza einzurichten. Die ersten beiden Flüge sollen noch in dieser Woche stattfinden. Geplant sei, überlebenswichtige Güter wie Notunterkünfte, Medikamente und Hygienesets des UN-Kinderhilfswerks UNICEF nach Ägypten zu transportieren. Von dort sollen sie zu humanitären Organisationen nach Gaza gebracht werden.
Die Operation wird nach den Angaben aus Brüssel über den europäischen Zivilschutz organisiert. Es seien weitere Hilfsgüter aus den EU-Notfallvorräten verfügbar, die auf Anfrage an humanitäre Partner in der Region geliefert werden könnten, hieß es.
Kühnert fordert von Ägypten Aufnahme von Flüchtlingen
Die SPD rief die ägyptische Regierung zur Aufnahme von palästinensischen Flüchtlingen aus dem Gazastreifen auf. Die ägyptischen Partner sollten alles tun, "was eine Öffnung des Grenzübergangs und die Aufnahme von Zivilbevölkerung auch auf ägyptischem Territorium möglich macht", sagte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert in Berlin.
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz werde bei seinem anstehenden Besuch in Ägypten darauf hinwirken, dass in der Region "konkrete Hilfsbereitschaft" gezeigt werde. Scholz soll Medienberichten zufolge am Dienstag nach Israel und Ägypten reisen.
Insgesamt mehr als 4.000 Tote
Israel hatte angesichts einer wahrscheinlich bevorstehenden Bodenoffensive mehr als eine Million Palästinenser im Norden des Küstenstreifens zur Evakuierung in den Süden aufgefordert. Als Reaktion auf Massaker der islamistischen Hamas vor rund einer Woche hatte das israelische Militär den Gazastreifen abgeriegelt und fliegt massive Luftangriffe auf den dicht besiedelten Küstenstreifen. Die Bombardierungen gingen nach Angaben des Militärs in der Nacht weiter.
Israel will nach eigenen Angaben die im Gazastreifen herrschende Hamas zerstören, die bei dem Terrorangriff auf Israel mehr als 1.400 Menschen getötet hat. Zudem wurden laut Armeeangaben mindestens 199 Personen in den Gazastreifen verschleppt. Die Zahl der getöteten Palästinenser stieg nach Angaben aus dem Gazastreifen auf mehr als 2.800. Israels Armee teilte mit, es seien bislang sechs ranghohe Hamas-Mitglieder getötet worden. Darunter seien sowohl Mitglieder des militärischen als auch des politischen Flügels.