Beziehungen zu China "Russlands Abhängigkeit wächst"
Trotz der von Xi und Putin demonstrierten Nähe - im Verhältnis zwischen Russland und China gibt es eine zunehmende Schieflage, sagt der Historiker Urbansky im Interview. Das schwäche Moskaus Position gegenüber Peking auch geostrategisch.
tagesschau.de: Ist die Begegnung von Xi und Putin ein Treffen unter Gleichen?
Sören Urbansky: Die chinesische Regierung hat das diplomatische Geschick, die Beziehungen zu Russland nach außen hin als eine Partnerschaft auf Augenhöhe darzustellen. Xis erste Auslandsreise seit Beginn der Pandemie führt zwar nicht nach Russland, sondern nach Kasachstan und Usbekistan, aber die bilaterale Begegnung mit Putin in Samarkand ist wohl gewählt und hat auch ihre diplomatische Bedeutung in diesem Sinne.
Dr. Sören Urbansky ist Historker und leitet das Pazifikbüro des Deutschen Historischen Instituts in Berkeley (US-Bundesstaat Kalifornien). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die neuere Geschichte Chinas und Russlands.
Gemeinsame Interessen und wirtschaftliche Synergien
tagesschau.de: Kann man jetzt schon von einer chinesisch-russischen Allianz sprechen?
Urbansky: Autoritäre Staaten gehen selten Allianzen ein. Aber es gibt überlappende Interessen. Es gibt ein ähnliches Staatsverständnis. Beide Regime sind autoritär. Sie haben durchaus gemeinsame geopolitische Interessen. Da ist der gemeinsame politische Feind, der Westen, und das schafft Nähe. Und es gibt ein gemeinsames Interesse an der Förderung autoritärer Systeme in der unmittelbaren Nachbarschaft, aber auch darüber hinaus.
Zwischen beiden Staaten gibt es eine wirtschaftliche Synergie. Russland ist ein großer Rohstoffexporteur, von dem China zunehmend profitiert. Russland liefert Waffen und militärisches Know-how. Russland wiederum ist zunehmend abhängig von Importen von Industriegütern aus China, die es nicht mehr im Westen kaufen kann.
"Zunehmende Asymmetrie im Verhältnis"
tagesschau.de: Hat der Ukraine-Krieg so gesehen auch eine Schieflage in die Beziehungen gebracht?
Urbansky: Manche Beobachter sprechen davon, dass Russland zum Vasall Chinas geworden ist. Soweit würde ich nicht gehen. Aber die zunehmende Asymmetrie in dem Verhältnis wird immer deutlicher. Russland fehlen alternative Exportmärkte für seine Rohstoffe, deren Export nach China massiv zugenommen hat. Bei Öl und Gas lagen er im August um 60 Prozent über dem Volumen des Vergleichsmonats 2021.
China importiert diese Rohstoffe sehr günstig und umgeht damit die Inflationsraten, die wir hier im Westen sehen. Diese wachsende Abhängigkeit schwächt Russlands Verhandlungsposition in anderen Bereichen der Beziehungen - zum Beispiel im Hinblick auf Zentralasien. Oder mit Blick auf Chinas Interessen in der Arktis.
"China profitiert nicht zum Nulltarif"
tagesschau.de: Zahlt Russland also einen hohen Preis für den Rückhalt Chinas?
Urbansky: Ich glaube, dass der Preis noch nicht in Gänze sichtbar ist und sich in den kommenden Jahren noch entwickeln wird. Allerdings profitiert China auch nicht zum Nulltarif. Die Ukraine war für China ein wichtiger Handelspartner. Ein Drittel der Getreideexporte der Ukraine gingen nach China. Das ist zumindest temporär weggebrochen. Die Ukraine war ein wichtiges Transitland in der Seidenstraßen-Initiative.
Zudem bringt der Krieg China in eine Position, in der es Entscheidungen treffen muss. Die Wirtschaftsbeziehungen zum Westen, zur EU und den USA, sind nach wie vor sehr viel wichtiger als die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland. Und deswegen achtet China darauf, dass es die Sanktionen einhält, um Folgesanktionen zu entgehen.
"Es wird schwerer, zu lavieren"
tagesschau.de: Was bedeutet hier, dass der Krieg nicht nach wenigen Tagen vorbei war, sondern inzwischen von unabsehbarer Länge ist?
Urbansky: Je länger dieser Krieg dauert, desto schwerer wird es für China, zwischen Russland und dem Westen zu lavieren. Und umso mehr wird China sich gezwungen sehen, sich klarer zu positionieren und für eine Seite Partei zu ergreifen. Das bringt China in eine Bredouille - einerseits die wirtschaftlichen Beziehungen zum Westen zu wahren, andererseits mit Russland die gemeinsamen geostrategischen Interessen weiter zu verfolgen. China profitiert andererseits im Inneren vom klaren Feindbild, das chinesische Politiker und die Staatsmedien formulieren - dass Russland in die Ukraine einmarschiert sei, weil es durch den Westen und die NATO bedroht worden sei.
Der Faktor Kasachstan
tagesschau.de: Zeigen sich die Grenzen der Gemeinsamkeiten auch daran, dass Xi zuerst nach Kasachstan und Usbekistan gereist ist?
Urbansky: Xi hat achtmal Russland bereist, viermal die USA und viermal Kasachstan. Das zeigt die Bedeutung, die Russland beigemessen wird, aber auch die Bedeutung Kasachstans. Hier liegt eine gemeinsame Einflusssphäre, hier rief Xi 2013 die Seidenstraßen-Initiative ins Leben.
Zentralasien fiel, weil es früher zur Sowjetunion gehörte, in den postsowjetischen Einflussbereich Russlands. Hier gab es eine Arbeitsteilung mit China. Russland behielt die militärische Dominanz über das Gebiet und räumte zugleich China einen großen wirtschaftlichen Freiraum ein. Diese Grenze weicht zunehmend auf. Hier ist es interessant, dass Xi bei seinem Besuch in Kasachstan die territoriale Integrität des Landes betont hat. Das ist möglicherweise auch eine Reaktion auf Befürchtungen, dass Russland versuchen könnte, russisch geprägte Teile Kasachstans zu annektieren.
Taiwan im Hinterkopf
tagesschau.de: Gilt weiterhin, dass China den Ukraine-Krieg auch mit Blick auf die eigenen Ansprüche auf Taiwan betrachtet?
Urbansky: Für China ist mit Blick auf Taiwan zum einen interessant zu sehen, wie der Krieg militärisch verläuft, wie schwierig es für Russland ist, die Ukraine einzunehmen, mit welch hohen Verlusten das verbunden ist. Zumal Taiwans Militär viel moderner aufgestellt und eine Insel ganz anders zu verteidigen ist. Aber China schaut auch sehr darauf, wie der Westen reagiert. China wird überlegen, wie es sich vom Westen entkoppeln kann, um im Falle eines ähnlichen Vorgehens nicht wirtschaftlich oder in einer anderen Hinsicht massiv unter westlichen Reaktionen zu leiden.
Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de