Konflikt in Bergkarabach Armenier geben Hunderte Waffen ab
Armenische Kämpfer in Bergkarabach haben damit begonnen, Waffen abzugeben. Das erklärten Russland und Aserbaidschan. Armenien bereitet sich auf Evakuierungen vor. Die Versorgungslage in der Region wird zunehmend schwierig.
Nach dem Waffenstillstand in Bergkarabach haben armenische Kämpfer in der Region nach russischen Angaben Hunderte Gewehre abgegeben. Unter der Kontrolle russischer Friedenstruppen habe die Übergabe von Waffen und Militärausrüstung begonnen, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Neben mehr als 800 Gewehren seien bisher auch 5.000 Schuss Munition und sechs gepanzerte Fahrzeuge ausgehändigt worden.
Die Regierung von Aserbaidschan bestätigte die Entwaffnung. Es seien bereits "Waffen und Munition beschlagnahmt" worden, sagte ein Armeesprecher. Die aserbaidschanischen Truppen arbeiten dabei "eng mit den russischen Friedenstruppen zusammen".
In Bergkarabach, das völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört, leben überwiegend Armenier. Die aserbaidschanische Armee hatte am Dienstag einen breit angelegten Militäreinsatz in der Region gestartet. Einen Tag später stimmten die in Bergkarabach lebenden Armenier notgedrungen einer Feuerpause zu. In der Folge hatten ihre Vertreter bekanntgegeben, mit Aserbaidschan über einen Rückzug ihrer Truppen zu verhandeln. Diese Verhandlungen dauern an, die vereinbarte Waffenruhe hält offenbar bisher.
Schwierige Versorgungslage
Auch um die Zukunft der rund 120.000 Armenier in Bergkarabach wird weiter gerungen. Aserbaidschan betonte, diese in ihren Staat integrieren zu wollen. Die Armenier befürchten nach eigenen Angaben aber "ethnische Säuberungen". Sie haben Sorge, vertrieben oder von den neuen aserbaidschanischen Machthabern unterdrückt zu werden.
Zudem wird die Versorgung mit Gütern offenbar problematisch. So sprach die selbst ernannte Regierung in Bergkarabach von einer sehr schwierigen Lage für die Bevölkerung. Die Menschen hätten nicht genug zu essen, keinen Strom und keinen Treibstoff. Armenien bereitet sich auch deshalb auf eine mögliche Evakuierung seiner Landsleute aus Bergkarabach beziehungsweise eine große Ausreisewelle vor, falls sich die Lage dort verschlechtern sollte. Nach Angaben von Ministerpräsident Nikol Paschinjan sind 40.000 Plätze vorbereitet.
Laut den russischen Angaben sind zumindest erste Hilfslieferungen inzwischen in Bergkarabach eingetroffen. So habe Moskau mehr als 50 Tonnen Lebensmittel und andere Hilfsgüter geliefert. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz teilte mit, es habe Hygieneprodukte sowie Decken und Treibstoff in die Region gebracht.
Scholz fordert Sicherheitsgarantie
Mit Blick auf die Krise forderte Bundeskanzler Olaf Scholz eine Sicherheitsgarantie für die mehrheitlich armenische Bevölkerung in Bergkarabach. Für eine nachhaltige Lösung des Konflikts müssten "die Rechte und die Sicherheit der Bevölkerung in Karabach gewährleistet werden", erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag nach einem Telefonat zwischen Scholz und dem armenischen Regierungschef Nikol Paschinjan.
Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter hat angesichts des aserbaidschanischen Großangriffs sofortige EU-Sanktionen gegen Aserbaidschan gefordert. Die Europäer müssten sich "zu wirtschaftlichen Sanktionen durchringen, auch wenn es schwerfällt", sagte er.
Besorgnis äußerten auch US-Vertreter bei einem Besuch in der armenischen Hauptstadt Jerewan. Die Kongressdelegation unter der Leitung des demokratischen Senators Gary Peters warf Aserbaidschan "unprovozierte" Angriffe gegen sein Nachbarland vor. Die autoritäre Führung von Präsident Ilham Alijew verübe "eine humanitäre Katastrophe in Bergkarabach", schrieb Peters in Onlinenetzwerken.
Aserbaidschan will Hilfen zulassen
Aserbaidschan bemüht sich hingegen, Ängste der Karabach-Armenier zu zerstreuen. Humanitäre Hilfe könne über den Latschin-Korridor und aus der aserbaidschanischen Stadt Agdam nach Karabach gebracht werden, sagte ein Berater des Präsidenten. Der Latschin-Korridor ist die Straßenverbindung zwischen Bergkarabach und dem armenischen Mutterland, die Aserbaidschan seit Monaten gesperrt hält. Man habe dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz zugesichert, dass es Hilfe in die Region senden könne, so der Sprecher.
Auch ARD-Korrespondent Marius Reichert, der sich an der Grenze der beiden Länder in der Nähe des Latschin-Korridors aufhält, berichtet, dass Hilfslieferungen über die Straße erwartet würden. Dennoch "sind die Menschen eingesperrt in Bergkarabach. Es ist blockiert." Es gebe zwar Zusicherungen Aserbaidschans, diese seien jedoch noch nicht überprüfbar.