Afghanistan Was mit den Abgeschobenen passiert ist
Was geschah mit den verurteilten Straftätern, die Deutschland nach Afghanistan abgeschoben hat? Die Taliban bestätigten nun, Abgeschobene freigelassen zu haben - unklar ist, wie viele. Ein BBC-Reporter konnte mit einigen sprechen.
Ahmad (Name geändert) ist 46 Jahre alt und sagt, dass er 27 Jahre lang in Deutschland gelebt hat. Er sei wegen eines Verbrechens dort zu sechs Jahren Haft verurteilt worden, fünf davon habe er abgesessen, erzählt er einem Team der BBC auf Paschtu. Dass er in sein Heimatland Afghanistan abgeschoben werden sollte, sei für ihn eine Überraschung gewesen:
"Ich wusste gar nichts von der Abschiebung. Als wir am Flughafen waren, durfte ich nur kurz mit meiner Frau telefonieren. Es war etwa 2 Uhr nachts."
Wir stehen mit dem BBC-Journalisten im Kontakt, der die Abgeschobenen getroffen und interviewt hat. Er ist immer noch in Kabul und möchte aus Sicherheitsgründen vorerst keine Interviews geben. Nach seinen Angaben haben die Taliban die Abgeschobenen nach der Landung in ein Gebäude in der Nähe des Flughafens in Kabul gebracht.
Die Männer wurden dort zunächst festgehalten - zur Identitätsfeststellung, wie es hieß, anschließend wollte man sie an Familienangehörige oder Verwandte übergeben. Eine Absicht, die Männer in Haft zu nehmen, bestand dem BBC-Reporter zufolge nicht.
Taliban-Sprecher: Abgeschobene sind frei
Nach Informationen des ARD-Studios Neu-Delhi hat man sie inzwischen freigelassen. Taliban-Sprecher Suhail Schahin sagte, die Familien hätten zuvor eine Erklärung unterzeichnen müssen, wonach die Männer keinerlei weitere Verbrechen begehen würden. Ob tatsächlich alle 28 freikamen, sei ihm nicht bekannt, so Schahin.
Das BBC-Team spricht auch mit Shirn (Name von der Reaktion geändert). Der Mann gibt an, seit 1995 in Deutschland gelebt, und nach vier Verurteilungen insgesamt 13 Jahre im Gefängnis verbracht zu haben. Auch er behauptet, eine Familie - Frau und Tochter - in Deutschland zu haben. Der BBC sagt er, er wisse nicht, was er in Afghanistan tun solle.
Keine klare Strategie
Es ist das erste Mal seit der Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021, dass Deutschland Menschen nach Afghanistan abschiebt. 28 Männer sind mit einer Chartermaschine von Leipzig nach Kabul gebracht worden. Laut einem Regierungssprecher sind alle verurteilte Straftäter, einige von ihnen sollen als Gefährder eingestuft sein.
Die Männer sind zwischen 20 und 60 Jahre alt, und viele von ihnen haben zwischen zwei und 13 Jahren in deutschen Gefängnissen verbracht. In Kabul sind sie nach Angaben der BBC mit Handschellen und Fußfesseln gelandet.
Die Taliban scheinen keine klare Strategie für den Umgang mit den Abgeschobenen zu haben, weshalb sie zunächst in einem Gebäude in der Nähe des Flughafens untergebracht wurden.
"Es gibt keine Mechanismen"
Das schätzt auch Ghafoor Rafaie so ein. Zwischen 2013 und 2021 leitete er eine NGO in Afghanistan, die sich zum Ziel gesetzt hatte, abgeschobenen Afghanen aus europäischen Ländern den Wiedereinstieg in die afghanische Gesellschaft zu erleichtern. Die Organisation betrieb unter anderem sichere Häuser in Kabul, in denen einige Abgeschobene vorübergehend untergebracht wurden, bis sie in der Lage waren, eigenständig ein neues Leben in Afghanistan zu beginnen.
Heute lebt der 38-Jährige in Deutschland und sagt: "Ich kann mir gut vorstellen, dass die Taliban derzeit nicht genau wissen, wie sie mit dieser Situation umgehen sollen. Es ist das erste Mal seit drei Jahren, dass Afghanen aus einem EU-Land abgeschoben werden. Es gibt zwar Mechanismen, aber diese greifen bisher nur für Abgeschobene aus Ländern wie der Türkei. Es ist jedoch eine ganz andere Situation, wenn Menschen aus europäischen Ländern abgeschoben werden."
Kaum Informationen
Offizielle Stellen der Taliban haben sich bisher auch nicht dazu geäußert, wer die Abschiebung vom 30. August mit ihnen ausgehandelt hat. Medienberichten zufolge soll das Golfemirat Katar zwischen der deutschen Regierung und den Machthabern in Afghanistan vermittelt haben. Die Taliban schweigen dazu. Sprecher Schahin bestätigte dem ARD-Studio Neu-Delhi lediglich, dass Deutschland nicht direkt verhandelt habe.
Er forderte die Bundesregierung deshalb mittelbar zur Zusammenarbeit mit den Taliban auf, da es derzeit an klaren Regelungen für solche Abschiebungen mangele. Solche Mechanismen müssten deshalb nun ausgearbeitet werden, so Schahin.
Ahmad, der zu den 28 Abgeschobenen gehört, erzählt dem BBC-Team, dass er in Afghanistan keine nahen Verwandten mehr habe. Die meisten seiner Familienangehörigen würden in Europa oder den USA leben. Für sich sieht er in Afghanistan keine Zukunft. Er wolle deshalb versuchen, irgendwie zurück zu seiner Familie zu kommen.
Mit Informationen von Peter Hornung, ARD-Studio Neu-Delhi.