USA und Deutschland "Große Verärgerung, aber kein Bruch"
Der Streit um die Lieferung von "Leopard"-Panzern habe Spuren im deutsch-amerikanischen Verhältnis hinterlassen, sagt die Sicherheitsexpertin Liana Fix. Stärker wirke jedoch der Eindruck, dass Deutschland keine Führungsrolle übernehmen wolle.
tagesschau.de: Hat die Debatte um die Lieferung von "Leopard 2"-Kampfpanzern Spuren im deutsch-amerikanischen Verhältnis hinterlassen?
Liana Fix: Die US-Administration hat gegenüber der Bundesregierung und der deutschen Zeitenwende in den vergangenen Monaten sehr viel Geduld aufgebracht - im Gegensatz zu anderen europäischen Partnern, die von Deutschland mehr und schnellere Entscheidungen bei der Unterstützung der Ukraine gefordert haben.
Washington hat immer darauf geachtet, keinen übergroßen Druck auszuüben aus Sorge, dass damit der Erfolg der Zeitenwende gefährdet sein könnte - wohlwissend, dass auch die Bevölkerung mitgenommen werden muss und die Zeitenwende eine große Veränderung für die deutsche Politik darstellt.
Weil so viel Geduld da war, ist der Ärger jetzt besonders groß, da der Eindruck entstanden ist, dass Deutschland die Entscheidung über die Lieferung von "Leopard"-Panzern nicht für sich selbst trifft und dafür geradesteht.
Vielmehr schiebt Deutschland den USA die Verantwortung zu, indem es eine Verbindung zwischen den "Abrams" M1" und den "Leopard"-Panzern herstellt und damit die USA unter Druck setzt - obwohl es die USA sind, die die größte Unterstützung für die Ukraine seit Beginn des Krieges leisten.
Junktim "keine Neuigkeit"
tagesschau.de: Es gibt aber immer noch unterschiedliche Darstellungen über dieses Junktim. Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius hat am Donnerstagabend im Brennpunkt gesagt, er wisse von diesem Junktim nichts. In deutschen und US-amerikanischen Medien ist aber weiter davon die Rede. Welche Darstellung halten Sie für zutreffend?
Fix: In Washington wird seit Längerem darüber gesprochen, dass Deutschland eine Verbindung zwischen "Abrams" und "Leopard" herstellt. Das ist keine Neuigkeit. Und dass diese deutsche Forderung nach einer Verbindung an die Öffentlichkeit geraten ist und damit Druck auf die USA aufgebaut hat, obwohl aus US-amerikanischer Sicht die Lieferung von Kampfpanzern eine Entscheidung ist, die Deutschland für sich selbst treffen sollte, hat für große Verwunderung gesorgt.
"Kein strategischer Bruch"
tagesschau.de: Wie nachhaltig ist denn der Schaden, der hier entstanden ist?
Fix: Es herrscht eine große Verärgerung in den deutsch-amerikanischen Beziehungen. Aber das bedeutet kein nachhaltiges Zerwürfnis und auch kein Bruch im gemeinsamen Handeln im Krieg gegen die Ukraine.
Das Ramstein-Treffen hat trotz alledem sehr positive Ergebnisse und ein großes Unterstützungspaket für die Ukraine zustande gebracht. Bei allen Differenzen - das ist kein strategischer Bruch, Deutschland und die USA stehen weiter auf der selben Seite.
"Deutschland wird als schwierig wahrgenommen"
tagesschau.de: Ein Teil der Kritik an Deutschland ist, dass die Bundesregierung und insbesondere Bundeskanzler Olaf Scholz ein Kommunikationsproblem habe und ihre beziehungsweise seine Politik nicht richtig erkläre. Ist das auch die Wahrnehmung in der USA?
Fix: Deutschland und die Kommunikation der Bundesregierung wird als schwierig wahrgenommen. Das größte Kommunikationsproblem lag in der Frage, ob die ausstehende deutsche Entscheidung zu "Leopard"-Lieferungen nur für Deutschland selbst gilt, oder ob Deutschland damit auch andere Partner blockiert hat. Eine Klarheit in dieser Frage, welchen Lieferungen Deutschland zustimmt und bei welchen es noch mehr Zeit braucht, hat im Vorfeld gefehlt und fehlt auch weiterhin.
Und die Klarheit in der Kommunikation, wo Deutschland zustimmt und wo es noch mehr Zeit braucht, hat im Vorfeld gefehlt und fehlt auch weiterhin.
"Innenpolitische Unstimmigkeiten verwirren"
tagesschau.de: Hilft da die Einlassung von Außenministerin Annalena Baerbock, sie habe nichts gegen eine Lieferung von "Leopard"-Panzern aus anderen Ländern?
Fix: Auch da herrscht völlige Unklarheit bei Deutschlands Partnern, ob die Außenministerin für sich selbst spricht oder für die ganze Regierung. Die innenpolitischen Unstimmigkeiten in Deutschland werden von außen als verwirrend wahrgenommen werden. Es ist wichtig, dass die Regierung bei solchen entscheidenden Fragen mit einer Stimme spricht.
"Deutscher Beitrag gerät in den Hintergrund"
tagesschau.de: Nun hat Deutschland nach den USA den zweitgrößten Beitrag bei der Ukraine-Hilfe geleistet. Mildert das nicht etwas die Kritik an Deutschland?
Fix: Die USA berücksichtigen das. Sie haben diesen Beitrag immer gewürdigt und auch gegen Kritik verteidigt. Aber wenn die USA tatsächlich erst "Abrams"-Panzer liefern müssen, damit Deutschland "Leopard"-Panzer liefert, schmälert das auch das Budget, das die Amerikaner zur Verfügung haben.
Die Regierung hat, bevor die Mehrheit im Repräsentantenhaus zu den Republikanern gewechselt ist, noch ein 47-Milliarden-Dollar-Budget für die Ukraine durchgebracht. Wenn sie davon die teuren "Abrams"-Panzer finanzieren müssen, grenzt das den Handlungsspielraum ein, um andere dringend benötigte Waffensysteme und Munition zu liefern.
Die Tragik des deutschen Verhaltens ist, dass der substantielle deutsche Beitrag für die Ukraine über das Thema "Leopard" in den Hintergrund gerät - auch auf Grund der schlechten Kommunikation der Bundesregierung. Es ist fast vergessen, dass Deutschland erst vor zwei Wochen leichte Panzer, die sogenannten Marder, zugesagt hat.
"Nicht bereit, Führungsrolle einzunehmen"
tagesschau.de: Ist die Debatte um die "Leopard"-Panzer unterschwellig auch eine Debatte darüber, wie sehr Europa künftig selbst für seine Sicherheit einstehen soll?
Fix: Die Bundesregierung hat es nicht geschafft, die Diskussion über "Leopard"-Panzer in koordinierte Wege zu leiten und dabei innerhalb der Europäischen Union eine Führungsrolle einzunehmen. Und das ist vielleicht die größte Kritik.
Die Beiträge von Deutschland an die Ukraine sind bemerkenswert. Aber diese Beiträge übersetzen sich nicht in eine Führungsrolle in Europa, sondern Deutschland möchte höchstens aus der Mitte der Allianz heraus oder von hinten führen. Das funktioniert nicht und ist eine Enttäuschung für die europäischen Partner und die USA, weil sie sich mit der Zeitenwende nicht nur einen zuverlässigen Alliierten erhofft haben, sondern auch ein Land, das bereit ist, eine Führungsrolle einzunehmen. Das ist Deutschland bei der Panzerfrage ganz klar nicht.
"Übergroße Last wird in Washington als Problem gesehen"
tagesschau.de: Zeigt das Agieren der Bundesregierung, dass Deutschland auch über die Ukraine-Krise hinaus noch nicht in der Lage ist, mehr Verantwortung zu übernehmen - zum Beispiel auch gegenüber China?
Fix: Diese Debatte über die Lastenteilung in der Allianz wird in Washington intensiv geführt. Überdehnen sich die USA, wenn sie parallel Sicherheitsgarant in Europa und gleichzeitig in Asien und gegenüber China aktiv sind? Und welchen Teil können die europäischen Alliierten beitragen?
Gerade in dieser Debatte wäre eine Führungsrolle Deutschlands und der EU wichtig, um die übergroße Bürde der USA in Europa zu reduzieren. Dass das nicht passiert, sondern im Gegenteil Europa führungslos ist, wird in Washington parteiübergreifend als ein Problem gesehen.
"Auch ein Exempel gegenüber China"
tagesschau.de: Was folgt daraus? Gefährdet es die Neuorientierung der US-Außenpolitik, weil ihre Aufgaben in Europa weiterhin sehr groß bleiben, solange sich keine andere Führungsmacht aufdrängt?
Fix: Die USA haben ein Interesse an Europa und daran, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnt, weil das aus US-amerikanischer Perspektive auch ein Exempel gegenüber China statuiert.
Es geht zum einen um die Sicherheit Europas, zum anderen aber auch um ein Signal, dass die USA sich für die bestehende Ordnung einsetzen und dass es eine Reaktion gibt, wenn rote Linien - wie von Russland - mit einem Angriffskrieg überschritten werden. Die Jahrhundert-Herausforderung aus amerikanischer Perspektive ist jedoch China.
Im Moment ist die Ressourcen-Frage noch nicht so drängend, dass sich die USA zwischen Europa und China entscheiden müssten. Sollte sich das Verhältnis zu China in Zukunft aber weiter verschlechtern, kann sich in dieser Frage der Druck durchaus erhöhen.
"Nationaler Sicherheitsrat wäre sinnvoll"
tagesschau.de: Macht sich hier auch bemerkbar, dass die Bundesregierung noch dabei ist, eine nationale Sicherheitsstrategie zu verfassen?
Fix: Es rächt sich, dass Deutschland erst jetzt zum ersten Mal eine nationale Sicherheitsstrategie erarbeitet. Zum einen, weil eine solche Strategie immer sinnvoll ist und die ganze Regierungsarbeit unter ein außenpolitisches Leitmotiv setzt.
Noch wichtiger als die Strategie ist jedoch, wie man diese Strategie umsetzt. Und da fehlen in Deutschland Institutionen und die Strukturen. In den USA gibt es den Nationalen Sicherheitsrat, der ausschließlich damit beschäftigt ist, die Außen- und die Verteidigungspolitik sowie die Geheimdienste zusammenzuführen und Entscheidungen für den Präsidenten vorzubereiten.
Gerade in Kriegszeiten merkt man, dass ein solches Gremium sinnvoll wäre. Insbesondere in einer Regierung, die aus drei Parteien besteht, in der man unterschiedliche Ministerien zusammenbringen muss, fehlt diese Koordinierungsstelle, die der Nationale Sicherheitsrat in den USA darstellt. Und das schwächt die deutsche Außenpolitik.
Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de