Trump verlässt winkend eine Bühne, auf der eine US-Flagge hängt
interview

Experte zu Trump-Anklage "Potenzial einer Verfassungskrise"

Stand: 02.08.2023 14:35 Uhr

Die neue Anklage stelle Ex-Präsident Trump vor erhebliche Probleme, sagt der US-Experte Thimm - vor Gericht und im Wahlkampf. Sollte Trump die Wahl gewinnen, sei eine Verfassungskrise zu befürchten.

tagesschau.de: Was unterscheidet diese Anklage gegen Trump von den bisherigen Verfahren, denen er sich stellen muss?

Johannes Thimm: Die Anklage jetzt beinhaltet die mit Abstand schwersten Vorwürfe gegen Trump. Es ist die dritte strafrechtliche Anklage, die gegen ihn vorliegt. Und hierbei geht es um seine Versuche, das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen von 2020 infrage zu stellen.

Die Anklage wirft ihm eine Verschwörung vor, um die Vereinigten Staaten zu betrügen, ein offizielles Verfahren aufzuhalten und zu unterminieren und sie wirft ihm Betrug an den Wählerinnen und Wählern vor, deren Stimmen entwertet werden sollten. All das zusammen hat massive Auswirkungen auf seinen Wahlkampf und wiegt deutlich schwerer als die Vorwürfe in New York wegen Dokumentenfälschung und die Vorwürfe in Florida wegen der Mitnahme geheimer Dokumente.

Johannes Thimm
Zur Person
Johannes Thimm ist stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Amerika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

"Beweislage ziemlich erdrückend"

tagesschau.de: Obwohl auch die ihn theoretisch ins Gefängnis bringen könnten.

Thimm: Richtig, denn auch bei dem Prozess in Florida wegen der rechtswidrigen Entwendung geheimer Dokumente sieht es so aus, als ob die Beweislage ziemlich erdrückend ist, weil das FBI anderthalb Jahre lang versucht hat, Trump zur Herausgabe dieser Dokumente zu bewegen, und er wiederholt über den Besitz gelogen und versucht hat, diesen zu verschleiern. Auch das ist strafrechtlich gefährlich.

Aber in der Gesamtschau wiegt der Versuch, ein Wahlergebnis nicht anzuerkennen und die friedliche Machtübergabe in einer Demokratie zu verhindern, schwerer.

Johannes Thimm, Stiftung Politik und Wissenschaft, über Trumps Probleme mit der Justiz

tagesschau24, 02.08.2023 11:00 Uhr

"Für seine Verteidigung ein wichtiger Punkt"

tagesschau.de: Trump hat dieser Tage in den sozialen Netzwerken geschrieben, er habe wirklich geglaubt, dass die Wahl gestohlen sei. Ist das der Versuch, irgendwie von der Behauptung einer gestohlenen Wahl abzurücken? Oder ist das nur einer von vielen Haken, die er schlägt?

Thimm: Das ist für seine Verteidigung ein wichtiger Punkt. Denn im Strafrecht geht es immer darum, einen Vorsatz nachzuweisen. Wenn es Trump gelingen würde, die Jury davon zu überzeugen, dass er wirklich daran geglaubt hat, dass es Wahlbetrug zu seinen Ungunsten gegeben und er sich als rechtmäßigen Gewinner der Wahl gesehen hat, erhöht das seine Chancen vor Gericht.

Aber es gibt jede Menge Indizien und Beweise aus der internen Kommunikation, die dagegen sprechen. Seine Berater haben ihm gesagt, dass es keinen Betrug gab. Der ehemalige Justizminister William Barr hat öffentlich ausgesagt, dass er Trump mehrfach und deutlich gesagt habe, dass an den Vorwürfen von Wahlbetrug nichts dran ist und dass Trump wissen musste, dass das Wahlergebnis rechtmäßig war. So ist es Aufgabe der Anklage, nachzuweisen, dass Trump vorsätzlich gehandelt hat.

Zahlreiche Verfahren beeinträchtigen Wahlkampfplanung

tagesschau.de: Haben die bisherigen Verfahren Trump geschadet oder haben sie ihm auch genützt?

Thimm: Das hängt davon ab, auf wen man schaut. Es gibt bei den Republikanern einen harten Kern von Trump-Anhängern, die sich nicht mehr von seiner Loyalität zu Trump abbringen lassen. Trump hat diese bisherigen Verfahren sehr erfolgreich dafür genutzt, Wahlkampfspenden einzutreiben. Er zieht aus den Verfahren also durchaus einen Nutzen. Bislang schaden sie nicht seinem Vorhaben, der Kandidat der Republikaner zu werden. Er führt haushoch in allen Umfragen.

Es gibt jedoch eine Gruppe von Wechselwählern, die durch diese Verfahren abgeschreckt werden. Und es gibt auch einen Teil der republikanischen Wähler, der gerne einen Kandidaten haben möchte, der die größtmöglichen Aussichten hat, auch bei der Hauptwahl zu gewinnen, also auch gegen den demokratischen Kandidaten - der voraussichtlich Joe Biden sein wird - zu gewinnen. Und bei diesen Wählern schadet ihm das.

Außerdem kosten ihn diese ganzen Gerichtsverfahren einen Haufen Geld. Die "New York Times" berichtet, dass eine seiner Wahlkampforganisationen fast pleite ist. Man muss das mit Vorsicht genießen, weil Trumps Möglichkeiten, neues Geld einzuwerben, groß sind. Aber die Behörden werden sich anschauen, ob er Wahlkampfspenden beliebig nutzen kann, um seine Gerichtsprozesse zu finanzieren.

Und es wird wahrscheinlich in den kommenden Wochen in Georgia eine weitere Anklage gegen ihn erhoben. Dann laufen vier Gerichtsprozesse gegen ihn, bei denen er regelmäßig im Gerichtssaal erscheinen muss. Das ist bei Strafprozessen so vorgesehen. Es gibt jetzt schon Probleme, alle Termine der Strafverfahren entsprechend zu koordinieren. Das beeinflusst auch den Zeitplan für seinen Wahlkampf massiv und schadet ihm.

"Was wird DeSantis machen?"

tagesschau.de: Die innerparteiliche Konkurrenz hält sich bislang mit Kritik an Trump zurück. Können Sie sich vorstellen, dass sich das jetzt ändern wird?

Thimm: Das ist durchaus möglich. Schon jetzt kritisieren ihn die Konkurrenten Mike Pence, Asa Hutchinson und Chris Christie, aber das sind keine aussichtsreichen Kandidaten. Die spannende Frage ist, was Ron DeSantis machen wird, der an zweiter Stelle liegt. Noch ist er weit abgeschlagen, aber der Einzige, der derzeit auf zweistellige Zuspruchsraten kommt.

Bislang hat er auf eine Doppelstrategie gesetzt, kritisiert einerseits, dass angeblich die Biden-Administrationen das Justizministerium politisiert, um Trump zu verfolgen, verteidigt andererseits Trump nicht explizit gegen die neuen Vorwürfe. Die Option, Trump anzugreifen, hält sich DeSantis offen. Ich kann mir vorstellen, dass DeSantis im Wahlkampf einen Umweg wählt und auf das Argument umschwenkt, dass die vielen Verfahren Trumps Wahlchancen mindern - so wie viele es tun, die Trump nicht direkt kritisieren wollen. Dieses Argument dürften wir bald öfter hören.

"Trumps Taktik ist, zu verzögern"

tagesschau.de: Angenommen, Trump wird der Präsidentschaftskandidat der Republikaner und gewinnt die Wahl. Kann er das Amt dann antreten?

Thimm: Diese Frage schwebt über allen Verfahren - werden sie vor der Wahl abgeschlossen sein? Die Gerichtstermine, die jetzt schon angesetzt sind, betreffen März und Mai nächsten Jahres, fallen mitten in die Vorwahlsaison. Die Verfahren sind alle komplex und brauchen ohnehin Zeit. Trumps Taktik ist, zu verzögern, zu verzögern, zu verzögern. Da kommt es darauf an, inwieweit die Richter das zulassen.

Sollte Trump gewählt werden, wird es schwer, ihn zu verurteilen. Das Justizministerium ist zwar pro forma unabhängig, aber es gibt schon Pläne in Trumps Team, die Unabhängigkeit verschiedener Regierungsbehörden, unter anderem des Justizministeriums, zu untergraben, Leute zu entlassen, Loyalisten in diese Positionen zu setzen.

Sollte Trump tatsächlich wiedergewählt werden, solange die Anklage noch läuft, hat das großes Potenzial, eine Verfassungskrise zu provozieren. Dafür gibt es keinen Präzedenzfall. Es wird dann wahrscheinlich auf einen Machtkampf zwischen der Judikative und der Exekutive herauslaufen, um die Unabhängigkeit der Gerichte, um die Macht des Präsidenten und seine Möglichkeiten, Einfluss auch auf das Justizministerium und den Strafverfolgungsapparat zu nehmen.

"Logik der Verfassung funktioniert nicht gut"

tagesschau.de: Könnte er sich selbst begnadigen - worüber er ja schon einmal laut nachgedacht hat?

Thimm: Das ist verfassungsrechtlich nicht geklärt. Die weit verbreitete Meinung ist, dass das nicht möglich ist. Aber es wäre erst dann definitiv zu beantworten, wenn es dazu ein Urteil gibt, wahrscheinlich vom Obersten Gerichtshof. Die Logik der Verfassung sieht vor, dass die Gewalten sich gegenseitig kontrollieren. Ein Präsident, der seine Macht missbraucht, soll in dieser Logik vom Kongress des Amts enthoben werden und könnte sich dann nicht mehr begnadigen.

Wir haben aber schon zweimal gesehen, dass dieser Mechanismus unter dieser Republikanischen Partei, die ihre Loyalität zu Trump über ihre verfassungsmäßige Kontrollfunktion im Kongress stellt, nicht gut funktioniert. Daher stellen wir uns auch die Frage, ob Trump sich selbst begnadigen kann. Wenn er es aber versucht, würde es auf jeden Fall vor dem Obersten Gerichtshof landen.

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de

Ralf Borchard, ARD Washington, tagesschau, 02.08.2023 17:58 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 02. August 2023 um 11:00 Uhr.