Urteil des Supreme Court zu Trump "Die Messe ist noch nicht gelesen"
Für Trump ist die Gerichtsentscheidung ein Erfolg - denn es ist unwahrscheinlich, dass vor den Präsidentenwahlen abschließend über seine Immunität entschieden wird. Ganz aus dem Schneider ist er aber nicht, sagt US-Expertin von Daniels.
tagesschau24: Was bedeutet das Urteil des Supreme Court zur Immunität des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump für die Präsidentenwahl im November?
Laura von Daniels: Unmittelbar bedeutet es sicherlich, dass es zu Verzögerungen in dem Verfahren in Washington kommen wird. Trump ist dort angeklagt wegen Aktivitäten, die darauf hinauslaufen sollten, das Wahlergebnis der Wahl von 2020 zu verändern.
Mit dem Urteil, das die Richter jetzt mehrheitlich so entschieden haben, werden dem Gericht in Washington (das nun über die Immunität zu entscheiden hat, Anm. d. Red.) eigentlich lauter Hausaufgaben ins Heft geschrieben: Interpretationen zu finden, erst mal Rechtsbegriffe zu bestimmen, zu entscheiden, was ist offizielles Handeln und was ist inoffizielles Handeln eines Präsidenten?
Und damit ist die Verzögerung einfach gesetzt. Daran wird sich nichts mehr ändern lassen.
Laura von Daniels leitet die Forschungsgruppe Amerika bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehört die Wirtschaftspolitik der USA, Innenpolitische Bedingungen der US-Außenwirtschaftspolitik und die die US-Währungspolitik.
"Wollten nicht, dass das Verfahren vor den Wahlen entschieden wird"
tagesschau24: Das heißt, das könnte eine Niederlage für das Lager von US-Präsident Joe Biden sein, weil bestimmte Fakten dann vor der Wahl gar nicht mehr auf den Tisch kommen. Ist das aus Ihrer Sicht richtig?
von Daniels: Die Frage ist, was es für die amerikanische Demokratie bedeutet. Und da muss man jetzt wirklich schauen: Das Gericht hat ganz klar gesagt, dass es einen Präsidenten oder eine Präsidentin nicht über das Gesetz stellt. Das ist die erste Aussage.
Dann wird aber erstmals differenziert bei Immunität zwischen offiziellem und nicht-offiziellem Handeln. Und das bedeutet, dass Donald Trump immer noch verurteilt werden kann. Aber offensichtlich - das kann man, glaube ich, kaum anders interpretieren - wollte zumindest die Mehrheit der Richterinnen und Richter dieses Supreme Court nicht, dass das Verfahren vor den Wahlen im November entschieden wird.
"Die Richter haben eine Menge offengelassen"
tagesschau24: Es gibt Beobachter, die sagen: Das ist in der Konsequenz ein Sieg auf ganzer Linie für Trump. Er hat alles bekommen, was er erreichen wollte. Wie sehen Sie es?
von Daniels: Es ist natürlich so: Wenn er Präsident würde, dann wäre er tatsächlich in der Lage, sich freizusprechen oder das Verfahren einfach zu beenden. Natürlich bleibt dann trotzdem die Frage der Immunität ungeklärt. Es gibt dann noch Wege, zumindest sein Handeln als Privatperson zu belangen.
Was wir auch gehört haben heute, ist mindestens Unklarheit darüber, ob man offizielle Belege aus seiner Amtstätigkeit als Beweismittel verwenden kann in einem Verfahren, in dem seine private Aktivität begutachtet wird. Hier liegt der Teufel wirklich im Detail. Die Richter haben viele Fragen offengelassen - und die Messe ist noch nicht gelesen.
Aber klar war offensichtlich, dass das Gericht nicht die politische Entscheidung vorwegnehmen wollte, sondern in dem Sinne mit Trump auf einer Wellenlinie ist, dass dieses Verfahren nicht vor den Wahlen entschieden wird.
"Von Kompromiss nicht mehr die Rede"
tagesschau24: Würden Sie sagen, es ist auch nicht der Kompromiss, über den ja lange gesprochen wurde?
von Daniels: Kompromisse sind insgesamt offensichtlich in der US-Politik und - das haben wir heute noch mal gezeigt bekommen - auch in der Justiz schwierig zu erreichen. Wir sehen das auch an der gegensätzlichen Meinung der Richterin Sonia Sotomayor, die da ganz klare Worte findet. Da ist offensichtlich von Kompromiss nicht mehr die Rede.
"Folgen für andere Verfahren"
tagesschau24: Und wenn es jetzt um diese neu zu definierende Linie zwischen privatem und präsidialen Handeln geht: Glauben Sie, es gibt überhaupt eine klare Linie, die festgelegt werden kann, oder bleibt das nicht immer schwammig?
von Daniels: Das ist erstmal schwammig. Und wie gesagt stellt die Entscheidung jetzt das Gericht in Washington vor neue Aufgaben. Es wird aber auch sicherlich Folgen für andere Verfahren haben.
Trump ist ja zum Beispiel im Bundesstaat Georgia auch noch wegen möglicherweise manipulativer Tätigkeiten und Einflussnahme auf das Wahlergebnis angeklagt. Natürlich strahlt dieses Supreme-Court-Urteil heute auch auf die unteren Ebenen der Gerichtsbarkeit aus. Wie Sie sagen, es bleibt schwammig und bleibt in den Händen von Richterinnen und Richtern, die dann im Einzelfall zu entscheiden haben.
"Wenig Chancen, noch gehört zu werden"
tagesschau24: Würden Sie mit uns eine Prognose wagen: Wenn Trump im November wieder gewählt würde - was passiert dann mit diesen Verfahren, die gegen ihn laufen?
von Daniels: Man kann sicherlich damit rechnen, dass er dieses Verfahren in Washington D.C. beenden wird. In anderen Bundesstaaten können weiter Gerichte tätig werden - aber dann natürlich mit einem amtierenden Präsidenten, der ja immun wäre für sein Amtshandeln.
Und mit dem Supreme Court, so wie er jetzt aufgestellt ist, hätten Verfahren, die von der unteren Ebene nach oben hochkommen, wie wir es jetzt gerade erlebt haben, wenig Chancen darauf, noch gehört zu werden - im Sinne der Stimmen, die nicht mit Trump übereinstimmen.
Das Gespräch führte Anna Planken, tagesschau24. Das Interview wurde für die schriftliche Fassung leicht angepasst.