Die UN und der Krieg Am Rande des Kollaps
Die UN stecken seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine in einer tiefen Krise. Noch hat Moskau sie nicht vollends zerstört. Doch es ist unklar, wie die UN wieder wirklich funktionstüchtig werden kann.
In New York ist der 24. Februar noch nicht angebrochen. Der Sicherheitsrat hat spät am Abend eine Sondersitzung einberufen. "Aus tiefstem Herzen" ruft UN-Generalsekretär Antonio Guterres dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu, er soll seine Truppen stoppen.
Doch während der Rat um Frieden ringt, lässt Putin seine Panzer rollen. Deutlicher hätte er dem mächtigsten Gremium der Vereinten Nationen seine Geringschätzung nicht zeigen können - US-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield ist fassungslos:
Zu exakt der Zeit, zu der wir hier zusammensitzen, um Frieden zu suchen, gibt Putin eine Kriegserklärung ab - in völliger Verachtung für die Verantwortung dieses Rats.
"Würde der Sicherheitsrat auseinanderfallen?"
Der UN-Experte Richard Gowan vom Thinktank "Crisis Group“ meint, die größte Krise für die UN seit dem Irak-Krieg 2003 habe den Sicherheitsrat an den Rande des Kollaps geführt. "Jeder wusste, dass Russland seine Vetomacht im Sicherheitsrat nutzen würde, um jede Kritik gegen diese Aggression abzuwehren", sagt Gowan. "Aber niemand wusste, was mit der UN-Diplomatie passieren würde. Ob der Sicherheitsrat auseinanderfallen würde."
Das System der Vereinten Nationen ist diskreditiert. Forderungen nach einer Reform des Sicherheitsrats werden wieder lauter, auch aus den USA. Doch sie können nicht mehr sein als Bekundungen, sagt Gowan. "Jeder wusste, dass der Sicherheitsrat Russland nicht ausschließen konnte." Genauso wie er die USA 2003 nach dem Einmarsch in den Irak nicht habe ausschließen können.
Jenseits der Ukraine läuft's weiter
Immerhin habe der Rat das Kunststück vollbracht und in Fragen jenseits der Ukraine weiter funktioniert: von Hilfe für die Menschen in Afghanistan über Syrien bis zu Sanktionen gegen bewaffnete Gruppen in Haiti. In der Ukraine selbst arbeiten UN-Organisationen wie das Kinderhilfswerk UNICEF oder die UN-Flüchtlingshilfe seit Beginn des Krieges weiter. Guterres ist Architekt des Getreideabkommens zwischen der Ukraine und Russland.
Gowan sagt, er finde es interessant, dass Russland es vermieden habe, die UN komplett zu unterwandern. "Das zeigt: Moskau will sich die UN offenhalten - als Kanal, um mit dem Westen zu reden."
Zwischen den Fronten eines neuen Kalten Krieges
Am 2. März verurteilt die UN-Vollversammlung den russischen Angriffskrieg mit großer Mehrheit. Für die meisten im Saal ist es ein Gänsehautmoment, viele stehen auf und holen ihre Handys raus, um das Ereignis festzuhalten. Doch mehr als moralische Signale kann die Vollversammlung nicht senden.
Moskau versucht, auch dort die Allianz zu spalten. Viele afrikanische und asiatische Staaten, die wirtschaftlich abhängig von Russland sind, fühlen sich dort allerdings wie zwischen den Fronten eines neuen Kalten Krieges, betont der Chef des UN-Entwicklungsprogramms, Achim Steiner:
Wo immer wir hinschauen auf dem geopolitischen Radar, hat dieser Krieg entweder mehr Skepsis geschaffen oder alte Wunden neu aufbrechen lassen. Und er zerrüttet im Grunde genau das, was wir in diesem Moment der Geschichte brauchen: nämlich eine Fähigkeit, als Nationen, als Weltgemeinschaft gemeinsam handeln zu können. Das Gegenteil ist der Fall im Augenblick.
Bei Eskalation Ende der UN-Diplomatie
Viel werde im kommenden Jahr davon abhängen, ob die Weltmächte darauf hinwirken, dass die Vereinten Nationen zur Plattform werden, um einen Weg aus diesem Konflikt zu finden. Steiner betont die Gefahr eines "Vakuums", das dadurch entstünde, dass politische Blöcke und Kriegsparteien nicht miteinander verhandeln könnten oder wollten. Diese Situation gelte es zu beenden.
Das sieht auch UN-Experte Gowan so. Sollten die kriegerischen Handlungen dort mit einem akzeptablen Ausgang für die Ukraine enden, könnte die Weltgemeinschaft wieder eine starke Rolle einnehmen. "Die UN könnten den Wiederaufbau begleiten, den Rückzug russischer Truppen beobachten und der Sicherheitsrat könnte sogar Resolutionen für die Gestaltung eines Friedensabkommens auf den Weg bringen."
Sollte der Krieg allerdings eskalieren und würde Putin nukleare Waffen einsetzen, dann drohte die UN-Diplomatie vollends zu verstummen, fürchtet Gowan. Denn dann würde niemand mehr mit den Russen reden wollen.